Die Morgenandacht Fast hundert Jahre leben

Ulrike Bänsch
Ulrike Bänsch

Die Morgenandacht Fast hundert Jahre leben

Pastorin Ulrike Bänsch erzählt von Frau Schulze aus ihrer Gemeinde, die fast 100 Jahre ist und ihr Leben immer noch genießt.

Bild: Bremische Evangelische Kirche

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Pastorin Ulrike Bänsch erzählt von Frau Schulze aus ihrer Gemeinde, die fast 100 Jahre ist und ihr Leben immer noch genießt.

Sie ist fast hundert Jahre alt und noch völlig klar im Kopf.  Als ich Frau Schulze aus meiner Gemeinde besuche, sitzt sie in einem Sessel am Fenster und schaut in die Wintersonne. "Ist es nicht wunderbar die wärmende Sonne zu spüren?", sagt sie lächelnd und dreht ihr Gesicht mit geschlossenen Augen in den Sonnenstrahl, der in ihr Zimmer fällt. "Laufen kann ich nicht mehr so gut, aber die Sonne fühlen, das geht noch." Das ist typisch für Frau Schulze. Sie beklagt sich selten über das, was ihr nicht mehr möglich ist. Sie gibt vielmehr den Dingen in ihrem Leben Gewicht, für die sie Dankbarkeit empfindet.

 Im Verlauf unseres Gespräches erzählt sie: "Ich habe wirklich viel Glück, trotz allem. Das Leben ist ja nicht immer fair. Mein mittlerer Sohn starb viel zu jung. Mein Vater fiel im Krieg. Wer weiß warum? Als junges Mädchen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren habe ich wirklich harte Zeiten erlebt. Aber dann kam auch wieder das Glück um die Ecke. Ich traf meinen Mann. Unsere Kinder wurden geboren. Wir hatten Jahre in denen es uns wirtschaftlich sehr gut ging und viel möglich war. Jetzt freue ich mich, wenn mich meine kleinen Urenkel besuchen und glückselig lachen, wenn sie einen Platz auf meinem Rollator bekommen und wir durch den Park fahren."

In ihren Gedanken fährt sie fort: "Es gibt so viele tragische Schicksale. Wir haben hier im Heim zum Beispiel eine afghanische Pflegerin. Sie ist aus ihrer Heimat geflohen, aber sie bringt so viel Lachen in meinen Alltag. Sie erzählt mir manchmal Geschichten aus der Zeit, als ihr Land noch frei war, als Frauen dort noch lernen durften und die Menschen ohne Angst auf der Straße lachten. Nein, das Leben ist nicht gerecht." Zum Abschluss sagt Frau Schulze: "Meinen Enkeltöchtern sage ich oft meine drei wichtigsten Lebensweisheiten: Lasst euch nie zum Hass verführen. Finde immer etwas, worüber du dich freuen kannst.  Und – halte dich niemals für größer als Gott."

Mir geht der Besuch bei Frau Schulze noch lange nach. Eine wirklich weise Frau, und ich finde es sehr ermutigend, ihrer Stärke, ihrem Glauben und ihrer fröhlichen Gelassenheit zu begegnen, wenn ich bedenke, was sich alles in den fast hundert Jahren ihres Lebens in der Welt ereignet hat.

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  • Ulrike Bänsch

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