Frauengeschichte(n) aus der Region Wie diese Frau Bremens erste Ärztin wurde

Anna Stemmermann war die erste zugelassen Ärztin überhaupt in Bremen. 1906 hat es sie viel Anstrengung gekostet, eine eigene Praxis zu eröffnen.
Anfang des 20. Jahrhunderts ist Anna Stemmermann in ihren 30ern – und die einzige niedergelassene Ärztin in Bremen. Sie hat eine eigene Praxis im Fedelhören Nummer 87 eröffnet. Dafür musste sie sicherlich sehr zielstrebig sein, denn in dieser Zeit ist für bürgerliche Frauen wie sie nicht vorgesehen, dass sie berufstätig sind. Es sei denn als Lehrerin – ein Ausbildungsberuf, den zunächst auch Anna ergreift.
Im Hörsaal nicht erwünscht
Mit 22 unterrichtet sie bereits in Bremen, dann erfährt sie, dass in Berlin erstmalig sechs junge Frauen Abitur machen dürfen. Anna Stemmermann beschließt, ebenfalls das Abitur zu machen und Medizin zu studieren. „Sie hat öfter Räume betreten, in denen sie nicht erwünscht gewesen ist“, sagt Jannik Sachweh, Historiker und Leiter des Krankenhaus-Museums am Klinikum Bremen- Ost. Tatsächlich stößt Anna Stemmermann schon zuhause auf Widerstand: Obwohl ihr Vater selbst Arzt ist, hat die Familie etwas dagegen, dass sie Akademikerin wird. 1899 besteht sie dennoch das Abitur und beginnt ihr Studium.
Für Frauen damals sehr außergewöhnlich: Sie waren an den Universitäten schlichtweg nicht vorgesehen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie als Gasthörerinnen geduldet. "Das heißt: Jedes Semester müssen sie alle Professoren einzeln um Erlaubnis bitten, deren Vorlesung hören zu dürfen", sagt Sachweh. Anna Stemmermann studiert Medizin in Göttingen, Freiburg und Bonn, promoviert schließlich in Leipzig.
Eine Frau, die Patienten mit Respekt begegnet
1905 tritt sie vor den Toren Bremens ihre erste Stelle an: im gerade erst gegründeten St.-Jürgen-Asyl, das heute zum Klinikum Bremen- Ost gehört. Diese sogenannte psychiatrische Krankenanstalt hat für die damalige Zeit einen ziemlich modernen Ansatz. Anna Stemmermann arbeitet dort ein Jahr als Assistenzärztin. "Sie hat im Alltag auf den Stationen auch den Direktor vertreten und war eine von mehreren – die anderen waren Ärzte – die dann auch auf den Stationen die Menschen behandelt hat", sagt Sachweh.

Am 16. Oktober 1907 eröffnet Anna Stemmermann ihre eigene allgemeinmedizinische Praxis - als erste Frau in Bremen. Sie erwirbt sich den Ruf einer Ärztin, die Patientinnen und Patienten mit viel Respekt begegnet. Ihr Freund und Kollege Richard Bolte erinnert sich:
Obwohl sie radikalen Ansichten zuneigte und ihnen gelegentlich schroffen Ausdruck gab, hatte sie intime Freunde in den verschiedensten Lagern und Gesellschafts-klassen.
Richard Bolte, Kollege von Anna Stemmermann
Als Ärztin macht Anna Stemmermann keine Klassenunterschiede – sie behandelt alle, die zu ihr kommen. Sie engagiert sich neben ihrem Beruf für arbeitslose und arme Menschen, unterstützt den Aufbau der Bremischen Jugendfürsorge und unterrichtet Gesundheitslehre an zwei Bremer Frauenschulen. Ab 1927 ist sie auch Vertrauensärztin für die Kriegswitwen und -waisen.
Am 14. April 1928 stirbt Anna Stemmermann an Krebs. Ihr soziales Engagement wirkt dennoch weiter: Freundinnen und Patienten gründen die Dr.-med.-Anna-Stemmermann-Stiftung, die unter anderem einen Mittagstisch für Bedürftige einrichtet. Die Stiftung kann sich aus finanziellen Gründen nur bis 1949 halten – aber das Gedenken an die tatkräftige Ärztin bleibt: nicht zuletzt in Bremen Mitte, wo demnächst eine Straße nach Anna Stemmermann benannt werden soll.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 25. Januar 2025, 13.40 Uhr