Schwerpunkt Junge Geflüchtete: Integriert und ausgegrenzt
Die Migrationspolitik in Deutschland ist ein Thema, das polarisiert. Diskutiert wird über Abschiebungen und über Obergrenzen. Wer bei der Debatte aber zu wenig zu Wort kommt sind die Betroffenen – die Geflüchteten in Deutschland. Wir haben mit ihnen gesprochen und sie gefragt, wie sie die Diskussion betrachten. Bremen-Zwei-Reporterinnen Katharina Mild und Frieda Ahrens haben sich mit Mustafa und Jamshid in Bremen getroffen.
Jamshids Wohnung in Bremen-Hastedt ist klein, eine 1-Zimmer-Wohnung mit einer kleinen Küchenzeile und einem kleinen Bad, auf ungefähr 35 Quadratmetern, und vor allem: Noch nicht fertig eingerichtet. "Die Möbel kommen noch, tut mir leid!", sagt er direkt, die Schuhe und Jacke waren noch gar nicht ausgezogen. Dafür war der Tee schon frisch aufgegossen, er hatte Sitzkissen auf dem Boden verteilt und Süßigkeiten bereitgestellt.
Er und Mustafa sind 2015 aus Afghanistan nach Bremen gekommen – in Bremen haben die beiden sich auch kennengelernt. Mustafa studiert inzwischen und hat sein Abitur in Bremen absolviert. Jamshid arbeitet, er hat gleich zwei Jobs: Bei einem Bremer Automobilhersteller arbeitet er in Vollzeit als Konstruktionsmechaniker. Zusätzlich dazu hat er noch einen Nebenjob, bei dem er Essen ausliefert. Jamshid hat gerade die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, als erster von all seinen Freunden, mit denen er 2015 nach Bremen gekommen ist: "Acht Jahre habe ich Gas gegeben, Ausbildung gemacht, viel Stress, aber jetzt ist alles in Ordnung."
Ich habe immer Angst, wenn sich die Politik ein wenig gegen Flüchtlinge radikalisiert, dass mir auch der Aufenthaltstitel hier entzogen wird.
Mustafa, lebt seit acht Jahren in Deutschland
Die Einstiegsfrage im Interview mit den beiden jungen Männern könnte härter nicht sein: Die aktuelle Debatte über eine Obergrenze – wie ist das für euch? "Ich habe immer Angst, wenn sich die Politik ein wenig gegen Flüchtlinge radikalisiert, also strenger wird, dass mir auch der Aufenthaltstitel hier entzogen wird. Das macht mir riesige Angst" sagt Mustafa. Er erlebt durch die Debatte eine starke Spaltung in der Gesellschaft: Wir, die Deutschen, und ihr, die Flüchtlinge.
Falsche Vorurteile
Geflüchtete sind faul, liegen dem Steuerzahler auf der Tasche und sind kriminell – das ist oft das Bild vieler Politiker:innen, Deutschen und den Medien. Das finden die beiden nicht fair, Jamshid meint: "Wenn jemand sagt: diese Flüchtlinge, die kriegen Hartz IV und kriegen unsere Steuern. Ich bezahle jetzt auch Steuern, vorher hat diese Person mich bezahlt. Aber ich bezahle auch zurück in die Rente."
Es ist eine surreale Situation gewesen. Alles war offen. Ich habe den Blick abgewendet, weil ich dachte, jeder Blick, der jetzt auf sie trifft, der zerstört diese nicht vorhandene Intimsphäre.
Detlev Busche über die Unterbringung in der Turnhalle 2015
In der Turnhalle in Bremen-Borgfeld, wo die beiden am Anfang unterkamen, gab es erst nur Betten, Duschen und Toiletten, keine Wände. Also 80 Jungs in einem Raum. Der damalige pädagogische Leiter der Turnhalle war Detlev Busche. Er hat sein ganzes Berufsleben lang in der Jugendhilfe gearbeitet und war eigentlich schon in Rente, als man ihn dann 2015 aus dem Ruhestand zurückgeholt hat – um diese Turnhalle, in der Mustafa und Jamshid gelebt haben, zu koordinieren. "Ja, es ist eine surreale Situation gewesen. Alles war offen. Morgens, wenn ich zum Dienst kam, haben die Jungs ja eigentlich alle noch geschlafen. Und ich habe den Blick abgewendet, bin also ganz gerade durchgegangen, weil ich dachte, jeder Blick, der jetzt auf sie trifft, der zerstört diese nicht vorhandene Intimsphäre."
Was den Geflüchteten damals geholfen hat: Ehrenamtliches Engagement. Es gab damals sehr viele engagierte Leute in der Nachbarschaft. Es gab sofort einen Kreis von Unterstützerinnen und Unterstützern. Unter anderem Jule Stegemann-Trede. Ihr Malkurs besteht noch bis heute und trägt den Titel "Der Flug des Stiftes". Inzwischen findet er nicht mit mehr in Notunterkünften statt, sondern jeden Sonntag in ihrem Atelier in Schwachhausen: Offen für alle Menschen, die wollen. Und es geht im Kurs um viel mehr als nur das Malen. "Kleine Sachen wie Hausaufgaben mit anschauen oder doch nochmal Kontakt zu einer Behörde aufnehmen. Was wir auch gut machen konnten: Praktika vermitteln", erzählt Jule Stegemann-Trede.
"Kunst ist so eine Sache, dass man einfach das innerliche Bild, was man erfahren hat, einfach auf Papier bringt und dann irgendetwas malt. Und wenn man die Bilder von uns 2015 anguckt, da sieht man ganz krasse Sachen. Zum Beispiel selbst habe ich so ein Bild gemalt, wo ein Mann, an der Küste und dann guckt, wie das Boot gefüllt mit den Flüchtlingen übers Wasser schwimmt", erzählt Mustafa. Er besucht den Malkurs von Jule Stegemann-Trede noch immer. Das Zusammenkommen ist für viele ein vertrauter Rahmen, eine Art Ersatzfamilie.
Das gesellschaftliche Klima ist eben ein ganz anderes als 2015.
Detlev Busche über die Veränderung in der Gesellschaft
Ehrenamtliches Engagement ist also wichtig für das Ankommen hier in Deutschland, in Bremen, aber: Die Angebote werden weniger. Das berichtet Detlev Busche, der auch vergangenes Jahr wieder die Leitung einer Zeltunterkunft für junge Geflüchtete übernahm. "Und der große Unterschied ist, dass uns jetzt die Freiwilligen fehlen, dass wir eigentlich überhaupt nicht in dem Maße, wie wir es 2015 hatten, die Einzelkontakte herstellen konnten. Das gesellschaftliche Klima ist eben ein ganz anderes als 2015."
Und was heute – wie damals – auch noch für viele Geflüchtete erschwerend hinzukommt, ist die Unsicherheit: Darf ich in Bremen bleiben oder nicht? Mustafas Aufenthalstitel wurde schon einmal entzogen. Für ihn ist klar: Nach acht Jahren in Deutschland, einem Mittleren Schulabschluss, einem Abitur und einem begonnenen Studium – mit Krieg in Afghanistan, der Taliban an der Macht, will er hier bleiben. "Ich bin dankbar, dass ich hierhergekommen bin und für das, was mir gegeben wurde. Es ist nicht einfach, die Familie zu verlassen und ein Risiko einzugehen, in dem man einfach das Leben verlieren kann, indem man sterben kann, das ist nicht eine einfache Entscheidung, und das war schon eine schwierige Entscheidung, hierherzukommen. Ich persönlich bin froh, dass ich hier bin. Ich bin auch dankbar, dass ich hier bin und bleiben durfte und auch weiterhin bleiben darf."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 02. Februar 2024, 06:37 Uhr