Die Morgenandacht Augenblicke ohne Zukunft
Stand: 14. Juni 2023.
Die Morgenandacht Augenblicke ohne Zukunft
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Diese Augenblicke gibt es tatsächlich: Ein Unfall, eine gescheiterte Beziehung, oder, wenn wir den Blick auf die momentane Lage der Kirche lenken: Nur betroffene Gesichter und Unwissenheitsbekundungen – kaum bis gar keine Perspektiven. Von Augenblicken ohne Zukunft, eigentlich sogar ein ganzes Leben ohne Zukunft, davon erzählt auch eine biblische Geschichte des sogenannten Ur-Vaters Abraham: Er ist Nomade, auf der Suche nach geeignetem Weideland und hat sich in Haran angesiedelt. Äußerlich betrachtet hat er alles, was er zum Leben braucht. Aber etwas Wesentliches macht ihm das Leben zur Hölle: seine Kinderlosigkeit.
Damals waren Menschen wie er und seine Frau Sara keine richtigen Menschen. Ihr Leben war vergebens, da sie nicht in ihren Nachkommen weiterleben konnten – ein Leben ohne Zukunft. Die Bibel erzählt weiter, dass Abraham immer wieder die Stimme Gottes deutlich vernehmen konnte, der ihm Nachkommen so zahlreich wie die Sterne am Himmel versprochen habe! Es gebe nur eine Bedingung dafür: Er müsse wegziehen, aufbrechen und sich auf Neuland begeben.
Der Zug in die Fremde fällt ihm alles andere als leicht. Und dann geschieht nach einiger Zeit etwas völlig Unerwartetes: Drei Fremde begegnen ihm in der Mittagshitze. Im Besuch erkennt Abraham seinen Gott, und dieser bekräftigt sein Versprechen, dass es Zukunft gibt für Abraham und Sara. 'Augenblicke ohne Zukunft' – sie können in der Tat die spannendsten sein: Gerade dann begegne ich vielleicht einem Menschen, den ich noch nie gesehen habe und der mir unerwartet weiterhelfen kann. Gerade dann entdecke ich einen Weg, den ich vorher nicht gesehen habe. Gerade dann entdecke ich vielleicht eine Idee, die den Knoten im Kopf löst.
Die Kunst besteht darin, dieses Neue oder Fremde, das mir begegnet, nicht vorbeiziehen zu lassen. Sondern in ihm oder ihr eine Möglichkeit zu erkennen, wie es – möglicherweise völlig anders als erwartet – weitergehen kann. Es lohnt sich trotz der empfundenen Leere eines solchen Wendepunktes, wie wir ihn als Kirche oder in unserer Gesellschaft gerade erleben, wie Abraham daran festzuhalten, dass sich etwas Neues ereignen kann.
Dann werden auch Augenblicke ohne Zukunft wieder lebendig. Es erschließen sich neue Orte. Die österreichische Schriftstellerin und Jüdin Ilse Aichinger schreibt in einem Gedicht angesichts der erlebten Lebensgefahr des Holocausts: "Es gibt Augenblicke ohne Zukunft, die sehr verheißungsvoll sind. Die die verheißungsvollsten sind. Die ihrem Wesen nach schon eher Orte sind. Aus ihnen leben wir."