Die Morgenandacht Unausstehlich
Stand: 30. Juli 2024.
Die Morgenandacht Unausstehlich
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Wie soll man seinen Nächsten lieben, wenn der ganz einfach unerträglich ist? Pastorin Jeannette Querfurth macht sich dazu ihre Gedanken, während eine menschliche Posaune im Zug nervt.
Sie trompetet laut durch den ganzen Waggon. Schon seitdem sie sich gesetzt hat, dröhnt die Frau durch den Zug. Sie redet nur mit ihren beiden Kindern, aber posaunt dabei so laut, dass der ganze Waggon, vielleicht auch noch die untere Abteilung, mithören kann. Die beiden Kleinen tun mir leid. Sie werden fast pausenlos runtergemacht: "Du bist schon wie Dein Vater. Furchtbar!" "Nun stell Dich doch nicht so an, Du Mimose!" Nach fünf Minuten sieht man viele Menschen im Großraumwaggon unruhig werden und die Augen verdrehen. Die Frau ist einfach unerträglich. Ihre Kinder wirken dabei noch relativ ruhig. Sie kennen es ganz offenbar nicht anders. Das macht es aber eher schlimmer als besser.
Erst als die Frau nach einer Weile anfängt, in voller Lautstärke darüber zu schwadronieren, dass türkische Kinder noch viel schlimmer wären als ihre eigenen Kinder, weil die türkischen Kinder so schrecklich laut wären, platzt einer Frau der Kragen und sie bittet um Ruhe. Die Posaune schweigt danach endlich. Himmlische Stille im Zug.
Wie kann man jemanden ertragen, der so unerträglich ist?
Liebe Deinen Nächsten? Das hat ganz offenbar Grenzen. Oder nicht? In der Bibel steht dazu ein sehr hilfreicher Spruch: "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat." Der Trick an diesem Bibelspruch ist nicht der erste Teil "nehmt einander an", sondern der zweite: "wie Christus euch angenommen hat".
Dieser zweite Satz ändert meine Perspektive. Es geht dann nicht nur darum, wie ich andere, schwierige oder unausstehliche Menschen ertragen könnte. Sondern er lässt mich ahnen, dass es mit mir selbst vielleicht auch nicht so einfach ist. Dass Christus mich auch so nimmt und akzeptiert wie ich bin – mit allen Schwächen und Fehlern. Denn vielleicht bin ich nicht polterig und gemein zu Kindern, treulos oder verlogen, aber dafür vielleicht unzuverlässig, kritisch, nachtragend und nörgelig. Also wie gesagt: Vielleicht...
Nobody is perfect!
Dieser Perspektivenwechsel, der ehrliche Blick in den Spiegel, hilft schon sehr, um toleranter mit anderen Menschen zu werden. Eine jüdische Legende bringt das wunderbar auf den Punkt: Ein alter Rabbi fragt einst seine Schüler, wie man die Stunde bestimmt, in der die Nacht endet und der Tag beginnt. "Ist es, wenn man von weitem einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann?", fragt einer seiner Schüler.
"Nein", sagt der Rabbi. "ist es, wenn man einen Apfelbaum von einer Birke unterscheiden kann?", fragt ein anderer. "Nein", sagte der Rabbi. "Aber wann ist es dann?", fragten die Schüler. "Es ist dann, wenn du in das Gesicht irgendeines Menschen blicken kannst und darin deine Schwester oder deinen Bruder siehst. Bis dahin ist die Nacht noch bei uns."