Die Morgenandacht Rudolf Otto Wiemer
Standdatum: 15. Dezember 2024.
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Der Lehrer und Literat Rudolf Otto Wiemer hat die erlebten Schrecken zweier Weltkriege in seinem Glauben und in seiner literarischen Tätigkeit verarbeitet. Pastorin Jeannette Querfurth erinnert an einen Christen, dessen Glaube voller Zweifel und immer ganz nah an menschlichen Erfahrungen war.
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.
Sie gehen leise, sie müssen nicht schrein,
oft sind sie alt und hässlich und klein, die Engel.
Sie haben kein Schwert, kein weißes Gewand, die Engel.
Vielleicht ist einer, der gibt dir die Hand,
oder er wohnt neben dir, Wand an Wand, der Engel.
Das sind die ersten Zeilen aus einem bekannten Gedicht von Rudolf Otto Wiemer. Rudolf Otto Wiemer war 1905 geboren worden, 1998 starb er. Er durchlebte alle Höhen und vor allem auch Tiefen des 20. Jahrhunderts. Sein Vater starb im 1. Weltkrieg, als der Sohn gerade mal 13 war. Im zweiten Weltkrieg dann war er selbst Soldat und Kriegsgefangener. Er sehnte sich schmerzlich nach seiner Ehefrau und seinen drei Kindern. Die Schrecken und Ängste des Krieges haben ihn für den Rest seines Lebens geprägt. Auch sein Glaube wurde für den Rest seines Lebens verändert. Er war durchdrungen von Erschütterungen und Zweifeln. Aber Wiemer hielt trotz allem zäh an ihm fest. An einem sehr bodenständigen Glauben, der Gott im Alltag und bei den Menschen findet. Nach dem Krieg wurde Wiemer Lehrer und Literat. Eines seiner Bücher für Kinder heißt "Nele geht nach Bethlehem". Und es erzählt von Wiemers bodenständigem Glauben.
In der Geschichte ist es, wie jetzt, kurz vor Weihnachten. Neles Mutter ist mit Vorbereitungen für das Fest beschäftigt und in Eile. Aber Nele beschäftigt eine Frage: "Mama, wo ist Bethlehem? Kann man da hingehen?" Als die Tochter nicht locker lässt, sagt die Mutter kurzerhand und leicht genervt: "Bethlehem ist quer über die Straße. Nun weißt Du’s!" Nele zieht sich einen Mantel an und zieht los auf die andere Straße, um Bethlehem und das neugeborene Christkind zu finden. Sie trifft dann viele Menschen auf der anderen Straßenseite. Ein krankes Mädchen, eine einsame alte Frau, einen lebensmüden Mann, einen schwarzen Jungen, der ausgegrenzt wird, einen Bäcker, der mit seinem Sohn im Streit lebt. Menschen mit Kummer.
Und natürlich ist das Fazit des Buches, dass Bethlehem gerade da zu finden ist, wo es dunkel und trist ist. Und wo sich Menschen finden, die genau dort ein Hoffnungslicht anzünden. In unserer Zeit würde man Wiemers Geschichten vielleicht ein bisschen old fashioned nennen. Aber ich mag seinen bodenständigen Glauben, der den Zweifel zulässt und ganz nah bei den Menschen ist. So nah, wie auch seine Engel den Menschen sind. Denn sein Gedicht geht so weiter.
Dem Hungernden hat er das Brot gebracht, der Engel.
Dem Kranken hat er das Bett gemacht,
er hört, wenn du ihn rufst, in der Nacht, der Engel.
Er steht im Weg und er sagt: Nein, der Engel.
Groß wie ein Pfahl und hart wie ein Stein –
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.