Im Porträt "Wer könnte ich sein ohne den Alkohol?" – Autorin Eva Biringer
Standdatum: 16. Januar 2023.
"Ein nüchternes Leben kann sehr erfüllend sein", sagt Food-Journalistin und Autorin Eva Biringer. Über viele Jahre war Alkohol ihr ständiger Begleiter – wie bei vielen jungen emanzipierten Frauen. Über die jährliche Aktion "Dry January", bei der immer mehr Menschen einen Monat lang auf Alkohol verzichten, freut sie sich sehr.
Das erste Mal betrunken war Eva Biringer mit elf Jahren, als sie mit Freunden "Wahrheit oder Pflicht" spielte. Die Flasche Rum, aus der sie trinken musste, wollte sie gar nicht mehr loslassen. Es war für sie der erste Schritt in den Alkoholismus, den ihr Umfeld oft gar nicht als Problem wahrgenommen hat.
Ich war immer diejenige, die nicht aufhören konnte. Die sich ins Lagerfeuer übergeben hat.
Eva Biringer über ihr Trinkverhalten in der Jugend
Aufgewachsen in einem Dorf in der Schwäbischen Alb, gehörte Alkohol bei Schützenfesten oder in der Dorfdisco für sie und andere Jugendliche zum Alltag. Die Abstürze am Wochenende wurden immer regelmäßiger: "Ich war immer diejenige, die nicht aufhören konnte. Ich war diejenige, die die Flaschen auch ausgetrunken und sich ins Lagerfeuer übergeben hat." Im Studium in Berlin änderten sich zwar die Anlässe, getrunken wurde trotzdem – in der WG-Küche, auf der Party, in der Kneipe und dann weiter allein zu Hause.
Man kann es nicht lassen, weil man abhängig ist. Das zerreißt einen.
Eva Biringer über ihre schleichende Abhängigkeit
Als sie in den Job einstieg und Food-Journalistin wurde, verstetigte sich Eva Biringers Alkoholkonsum weiter. Sie wurde zu Pressevents oder Verkostungen eingeladen. Die Weinbegleitung zum Essen empfand sie als willkommene Pflicht: "Ich habe lange Zeit einfach wahnsinnig gern getrunken. Das ist so ein inneres Zerissen-Sein. Einerseits weiß man, dass man zu viel trinkt und dass das Trinken der Grund ist für sehr viele Probleme. Und gleichzeitig kann man es nicht lassen, weil man abhängig ist. Das zerreißt einen."
Immer mehr Frauen trinken
Dabei sinkt der Alkoholkonsum in Deutschland stetig. Von 15,1 Liter pro Kopf im Jahr 1980 auf heute weniger als elf Liter. Selbst bei Jugendlichen ist er historisch niedrig. Nur bei einer Gruppe steigt er: bei jungen, emanzipierten Frauen. Eva Biringer sagt, es gebe einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem Grad an Emanzipation in einem Land und dem Anteil trinkender Frauen. Auch für sie selbst war Trinken ein Ausdruck von Emanzipation, verpackt in einen gesundheitsorientierten und glamourösen Lifestyle wie in der Fernsehserie "Sex and the City". Es sei dieses Gefühl, es sich verdient zu haben, sagt sie: "Man muss nur mal bei Instagram reinschauen, wie viele Influencerinnen oder andere jüngere Frauen sich mit Alkohol fotografieren. Und zwar in einer positiven Form. Irgendwo am Strand. Und dann hat man das Champagnerglas oder die Rosè-Flasche in der Hand."
Es lohnt sich, das auszuprobieren und zu schauen: Wer könnte ich sein ohne den Alkohol?
Eva Biringers Appell an Frauen, die eine ähnliche Biografie haben wie sie
Mitverantwortlich dafür sei der ständige Drang nach Perfektion, der irgendwann einfach zusammenbreche, sagt Eva Biringer. Alkohol sei dann vermeintlich ein Weg um loszulassen. Doch die Folgen können dramatisch sein. Eva Biringer litt unter Schlafstörungen und fühlte sich ständig niedergeschlagen. Ihr Weg in die Unabhängigkeit vom Alkohol war lang und geprägt von Rückfällen.
Geholfen haben ihr schließlich neben einer Entwöhnungstherapie vor allem Bücher über Alkoholismus, wie sie nun selbst eines geschrieben hat: "Un-Abhängig. Vom Trinken und Loslassen." Für sie gab es nicht den einen Moment für den endgültigen Abschied vom Alkohol, sondern die stetig wachsende Erkenntnis, so nicht mehr leben zu wollen und das eigene Potential zu vergeuden. Heute führt Eva Biringer ein nüchternes Leben – und auch ein sehr erfüllendes, sagt sie: "Es lohnt sich, das auszuprobieren und zu schauen: Wer könnte ich sein ohne den Alkohol?"
Dry January: Chance zur Selbsterkenntnis
Eine ideale Gelegenheit zum Ausprobieren: der Dry January. Eine jährliche Aktion, bei der immer mehr Menschen einen Monat lang vollständig auf Alkohol verzichten. Eva Beringer sieht ihn als eine Chance, das eigene Trinkverhalten zu reflektieren. Aber auch aus einem ganz anderen Grund hätte die Aktion einen Vorteil: "Man muss sich in dieser Zeit viel weniger für Alkoholverzicht rechtfertigen. Man sollte sich natürlich überhaupt nicht rechtfertigen müssen, aber die Realität sieht leider anders aus."
Dieses Thema im Programm:
Bremen Zwei, Gesprächszeit, 1. Juli 2022, 18:05 Uhr
Text ergänzt am 16. Januar 2022