Im Porträt ARD-Korrespondentin Karin Senz über Istanbul und die Blackbox Iran
Standdatum: 22. November 2024.
Karin Senz ist erst vor kurzem zurück aus der türkischen Metropole Istanbul zurückgekommen. Dort hat sie sieben Jahre lang gelebt und als Hörfunk-Korrespondentin für die ARD gearbeitet. Sie hat über das Land und die Menschen berichtet, über Politik und Proteste. Und hat in der Türkei ein zweites Zuhause gefunden.
Eigentlich hat sich Karin Senz nie vorstellen können, mal als Auslands-Korrespondentin zu arbeiten, geschweige denn in der Türkei: "Ich hatte so eine Angst, einsam zu sein in Istanbul. Die ist mir ab dem ersten Tag genommen worden", erzählt sie lachend. Denn zum einen gebe es vor Ort eine große deutsche journalistische Community, zum anderen seien die Türken unglaublich gastfreundlich. Sie erinnert sich, dass sie einmal vom Regen durchnässt in eine Bäckerei geht: "Der Bäcker guckte mich an und sagte 'Sie setzen sich jetzt". Und er wusste, dass ich deutsche Journalistin bin. Und ich wusste, er war glühender Erdoğan-Anhänger. Aber das war ihm egal. Er hat nur geguckt, dass ich irgendwie warm werde." Diese Gastfreundlichkeit begegnete ihr immer wieder in der Metropole.
Etwas, was Erdoğan sehr gut macht? Er sagt den Leuten: Ohne mich wäre es schlimmer.
Karin Senz über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan
Die Themen, über die Senz berichtet, sind so vielfältig, wie das Land selbst. Ein Thema ist immer wieder die hohe Inflation. Viele Menschen werden immer ärmer, erzählt sie. 60 bis 70 Prozent der Türken bekommen Mindestlohn, umgerechnet etwa 500 Euro im Monat. "Davon kann man keine Wohnung bezahlen", sagt Senz. "Ich habe mich in den letzten fünf Jahren gefragt: Wie machen die das? Wie kann man mit dieser immensen Inflation umgehen?". Die Erdoğan-Anhänger glauben nicht, dass es an ihrem Präsidenten liegt. "Etwas, was Erdoğan sehr gut macht? Er sagt den Leuten: Ohne mich wäre es schlimmer", erzählt Senz.
Viele verlassen wegen des Regimes das Land
Und so taucht der Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern immer wieder in ihren Berichten auf. "Ich habe vor der Wahl mit einer Frau mit Kopftuch gesprochen, die ihn wählen wird. Weil sie Angst hat, dass sie ihr Kopftuch wieder ablegen muss." Davor hätten viele Leute Angst. Dass, wenn die Opposition gewählt würde, wieder auf sie herabgeschaut werde, wenn sie Kopftuch tragen.
Dagegen kenne sie aber auch viele, die wegen dieses Regimes das Land verlassen haben. Zum einen, weil sie der Ideologie nicht folgen wollen, aber auch, weil sie müssen, zum Beispiel weil sie Kurden sind. "Eine gute Freundin von mir hat damals vor einem Jahr bei der Wahl ihren Stimmzettel abgegeben, ist zum Flughafen gefahren und ist nach Berlin geflogen. Sie ist geflüchtet", erzählt Karin Senz. Denn als kurdische Anwältin sei es für sie in der Türkei nicht mehr sicher.
Einem Taxifahrer, der eine Frau mitnimmt, kann das Auto beschlagnahmt werden. Das ist Protest im Alltag!
Karin Senz über die Proteste im Iran, die bis heute andauern
Karin Senz reist viel in ihrer Zeit als Korrespondentin. Auch in den Iran, nach Teheran. Sie begleitet dort die Welle des Protests gegen die Regierung, als im September 2022 die Studentin Jina Mahsa Amini durch Polizeigewalt stirbt. Sie staunt noch heute über den Mut, den vor allem die jungen Iranerinnen haben."„Als ich letztes Jahr beispielsweise im Sommer da war, da habe ich junge Leute tanzen sehen. Frauen, die nur noch ein Kleid anhatten. Das ist Protest." Bis heute, erzählt sie, protestieren viele junge Menschen gegen das Regime. "Es gibt den Protest nicht mehr auf der Straße, aber es gibt den Protest noch."
Der Iran ist auch für mich eine Blackbox. Unglaublich schwer zu begreifen.
Karin Senz über ihr zweites Berichtsgebiet neben der Türkei
Auch im Iran rutschen viele Menschen immer mehr in die Armut. Auch, wegen der steigenden Inflation im Land. "Ich war bei einer iranischen Familie. Diese Wohnung war winzig", erinnert sie sich. "Und in einem Zimmer war ein Teppich, der auf der einen Seite an der Wand aufgerollt war. Er passte nicht mehr ins Zimmer." Daran habe man ablesen können, wie die Familie immer ärmer werde. Ob der neugewählte Präsident Massud Peseschkian neue Hoffnung in den Menschen weckt, ist auch für Karin Senz unklar. "Der Iran ist auch für mich eine Blackbox, in die ich ein kleines Loch gebohrt habe. Unglaublich schwer zu begreifen."
In Deutschland will sie gelassener sein
Obwohl sie in der Türkei ein zweites Zuhause gefunden hat, ist Karin Senz nach sieben Jahren in Kriegs- und Krisengebieten nun wieder zurück in Deutschland. Eins nimmt sie mit aus ihrer Zeit in Istanbul: Die Gelassenheit. "Ich gehe jetzt mehr Spazieren, das habe ich mir angewöhnt. Also ich nehme mir die Zeit."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 22. November 2024, 18:05 Uhr