Im Porträt AWI-Ärztin Aurelia Hölzer über Polarschimmer in der Antarktis
Standdatum: 18. November 2024.
Aurelia Hölzer hat als Ärztin in der Neumayer-Station III in der Antarktis gearbeitet. In ihrem Buch "Polarschimmer" erzählt sie von ihren 54 Wochen im Eis.
Bevor sie zugesagt hat, am Ende der Welt in absoluter Isolation Forscherinnen und Forscher medizinisch zu betreuen, wusste Aurelia Hölzer relativ wenig über das Polargebiet. Heute weiß sie: im antarktischen Winter herrschen Temperaturen bis zu -40°C vor. "Eine Welt, die man nicht kennt. Die hat keiner aus meinem Team vorher je betreten", so Hölzer. "Wir sind alle neun da runter gefahren mit der "Polarstern" in die Nähe der Eiskante und sind dann mit dem Hubschrauber ausgeflogen worden. Und dann steht man vor der Station und denkt sich: Wahnsinn, das soll jetzt mein Zuhause sein? Das ist schon sehr, sehr krass."
Zieht euch warm an, seid nett zueinander, wir kommen in einem Dreivierteljahr wieder!
Diese Worte hat Aurelia Hölzer zu ihrem Abschied zu hören bekommen
Immerhin: Die Neumayer-Station III hat alles, was man braucht: Räume zum Schlafen, Essen und kochen, ein eigenes Blockheizkraftwerk, Labore, ein Sport-Raum und natürlich ein Operationssaal. "Am Anfang fand ich das sehr schräg und sehr fremd", sagt Aurelia Hölzer, wenn sie zurückblickt. Mehrere Wochen habe sie gebraucht, um sich an den Alltag auf der vom Alfred-Wegener-Institut betriebenen Neumayer-Station III in der Antarktis zu gewöhnen: "Da gibt es ganz viel zu lernen. Man geht im gestreckten Galopp durch die Vorbereitungszeit und nach drei Wochen waren die anderen abgeflogen und dann waren wir allein. Nach dem Motto: 'Zieht euch warm an, seid nett zueinander, wir kommen in einem Dreivierteljahr wieder!'"
Mit Palmen-Tapete und Lebkuchengewürz
In ihre Frachtkisten hat sie überraschende Dinge gepackt: "Ich habe zum Beispiel relativ viel Bastelsachen und Geburtstagsüberraschungen mitgenommen. Zum Beispiel eine Palmen-Tapete - die auch zum Einsatz kam! Oder auch Malsachen, weil ich gerne male, meine Querflöte, Noten. Ja und manches auch völlig unnötig: Lebkuchengewürz habe ich tonnenweise mitgenommen und überhaupt nicht gebraucht."
Was ist, wenn da unten jemandem etwas passiert und ich kann den- oder diejenige nicht retten?
Diese Frage hat sich Aurelia Hölzer vor ihrem Einsatz gestellt.
Freunde und Familie haben Aurelia Hölzer bei ihrem Abenteurer unterstützt. "Natürlich: Der Abschied fällt nicht leicht. Wenn man wirklich losfährt, fährt man in eine riesige Unbekannte, in eine Einbahnstraße, die man für ein Jahr gebucht hat. Und man weiß auch nicht: Was wird zuhause sein in der Zeit? Ich kann nicht zurückkommen, wenn etwas ist." Während sie nur telefonisch Kontakt zu ihren Angehörigen halten konnte, hat Hölzer ihren Alltag in der Antarktis mit acht Personen geteilt. Die Herausforderung mit den immer gleichen Menschen auf engem Raum zu zusammen zu leben und zu arbeiten, hat sie gerne angenommen. Angst vor sozialen Spannungen, hatte die Optimistin wenig. Gesorgt hat sie sich vor allem um medizinische Fragen: "Was ist, wenn da unten jemandem etwas passiert und ich kann den- oder diejenige nicht retten als Ärztin und Chirurgin und einzige Medizinerin vor Ort?"
Das kleine Einmaleins der Narkosen und des Zähnebohrens
Doch Aurelia Hölzer hatte sich schon während der Bewerbungsphase gut vorbereitet. Die Gefäßchirurgin hat extra eine Notarzt-Ausbildung absolviert und sich Grundkenntnisse in der Anästhesie angeeignet: "Das kleine Einmaleins der Narkosen". Und auch mit dem Zähnebohren hat sie sich beschäftigt, erzählt sie lachend. Doch im Grunde hat sie schon während ihrer Zeit an großen Kliniken Erfahrung mit schweren Notfällen gesammelt: "Mir sind schon Menschen unter den Händen gestorben. Für mich ist das eine ganz, ganz reale Erfahrung und kein hypothetisches Szenario. Aber dann ist es natürlich was völlig Anderes, wenn man seine besten Freunde operiert. Und das sind dann deine besten Freunde dort."
Ich hatte einmal einen sehr kranken Patienten am Ende vom Sommer. Um den habe ich mir richtig Sorgen gemacht.
Aurelia Hölzer über ihren schwersten Fall
Als Ärztin hätte Hölzer im Zweifelsfall einen Blinddarm oder einen Magendurchbruch operieren müssen. Die Station ist mit OP-Saal, Ultraschall und Röntgengerät ausgestattet. Am Ende hat sie von Ausschlag bis Gelenkschmerzen eher leichtere Erkrankungen behandelt: "Wie in einer Allgemeinarzt-Praxis. Natürlich kann auch mal einer hinschlagen und sich den Knöchel verstauchen oder so was." Nur einmal ist ist sie stärker auf die Probe gestellt worden: "Ich hatte einmal einen sehr kranken Patienten am Ende vom Sommer. Das war ein rausfliegendes Flugzeug, das im Sturm bei uns hängen blieb. Der hatte rheumatisches Fieber und das kann sehr schlimm aufs Herz und die Nieren schlagen und auf alle möglichen Organsysteme. Um den habe ich mir richtig Sorgen gemacht."
Niemand verlässt alleine die Station
Wie alle Team-Mitglieder hatte Aurelia Hölzer regelmäßige Aufgaben, die ihren Tag strukturierten: Die Geräte im Hospital zu warten, sich um den Brandschutz und die Wasserhygiene zu kümmern oder das Gelände zu erkunden, wenn die Bucht um den schwimmenden Gletscher herum zufriert. "Dann seilt man sich gegenseitig an, und hackt die Spalten auf und guckt, wo kommt man gut rüber. Und das habe ich vorher auch noch nie gemacht." Oft ist sie auch bei Messungen zum Beispiel für die Klimaforschung dabei gewesen: "Man hilft sich ganz häufig gegenseitig. Man darf auch nur zu zweit das Stationsumfeld verlassen. Allein deswegen muss jemand anderes ganz oft mitkommen."
Diese starke Natur – das ist ein Zauber, den kann man optisch gar nicht erfassen.
Aurelia Hölzer über ihre Polarschimmer-Erlebnisse
Außer Vögeln, Robben und rund 25.000 Kaiserpinguinen hat Aurelia Hölzer wenig Leben gesehen. Viele Momente hat sie in ihr Herz geschlossen: Die Friedlichkeit des Eises, das Auftauchen der Eisberge aus dem Nebel, die endlosen Sonnenuntergänge, in die ein Sturm hineinbläst, Schneeschwaden, die wie tanzende Gestalten emporsteigen: "Diese starke Natur – das ist ein Zauber, den kann man optisch gar nicht erfassen. Das ist etwas, was man auch fühlt."
Dieses Getragensein im Team – das war eines der allergrößten Geschenke für mich aus dieser Zeit.
Aurelia Hölzer über die starke Verbundenheit in ihrem Antarktis-Team
Zurückzukehren in die mitteleuropäische Realität war nach den Wochen im Eis nicht ganz einfach. "Weil man innerlich so distanziert ist. Ich habe mich innerlich so gefühlt, als würde ich das Leben so ein bisschen durch eine Plexiglas-Scheibe sehen." Nicht nur die friedliche Einsamkeit hat sie vermisst, sondern auch die Menschen, die ihr in der Antarktis ans Herz gewachsen sind. Zu ihren acht Mitreisenden hat Aurelia Hölzer eine enge Freundschaft aufgebaut: "Das ist schon eine besondere Verbundenheit. Dieses Getragensein im Team – das war eines der allergrößten Geschenke für mich aus dieser Zeit." Aurelia Hölzer hat Tagebuch geschrieben und ihre Erlebnisse in ihrem Buch "Polarschimmer" aufgeschrieben: "Die Antarktis hat mich als Ort irgendwie weiter gemacht und gelassener vielleicht. Weil man so entrückt ist vom Rest der Welt."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 18. November 2024, 18:05 Uhr