Frauengeschichte(n) aus unserer Region Warum diese Journalistin Bremens bürgerlichen Wohnstil verabscheute

Autorin

Anna-Maria Goetze vor einem Wohnzimmer aus dem Jahr 1925
Bild: Archive Nils Aschenbeck / Bremer Staatsarchiv Sammlung Stickelmann

Einen eigenen Beruf ergreifen? Für Frauen des Bürgertums Ende des 19. Jahrhunderts war das praktisch unmöglich. Nicht aber für Anna Maria Sophie Goetze. Sie verdiente ihren eigenen Lebensunterhalt - mit dem Schreiben von Büchern, Opernkritiken, poetischen Texten und journalistischen Artikel über Kunst sowie moderne Inneneinrichtung. Der alte, bürgerliche Wohnstil kam dabei nicht gut weg.

Porträt von Anna-Maria Goetze

Frauengeschichten: Die Journalistin und Schriftstellerin Anna Goetze

Einen eigenen Beruf ergreifen? Das ist für Frauen des Bürgertums in der Mitte des 19. Jahrhunderts praktisch unmöglich. Anna Marie Sophie Goetze aber findet einen Ausweg.

Bild: Archive Nils Aschenbeck

Sie sind im 19. Jahrhundert der Ausweg für "höhere Töchter", die arbeiten wollen: die sogenannten "Lehrerinnenseminare". Auch Anna Goetze besucht eines, in Schwerin. Nach ihrem Abschluss geht sie allerdings nicht in den Schuldienst, sondern auf Reisen: in die Schweiz, nach England und schließlich nach München, wo sie sich im Bohème-Viertel Schwabing niederlässt. "Direkt im Künstlerviertel, in der Nachbarschaft von Rainer Maria Rilke", weiß der Kulturwissenschaftler Dr. Nils Aschenbeck . "Dort besuchte sie berühmte Künstler wie Franz von Stuck und schrieb über sie. So wurde sie damals allmählich zu einer Kunstschriftstellerin."

Ja, Anna schreibt vor allem über Kunst, doch sie verfasst auch poetische Texte. Um 1900 zieht es sie dann nach Bremen, das sich zu dieser Zeit zu einem wichtigen künstlerischen Zentrum entwickelt. "Der Deutsche Werkbund, damals so eine Sammelbewegung der Künstler und der Kunstgewerbler, war in Bremen außergewöhnlich stark. Diese aufstrebende Atmosphäre mag der Grund sein, dass Anna Goetze nach Bremen ging", erklärt Nils Aschenbeck.

Meinungsstark und unkonventionell

Auch in Bremen ist sie bald bestens mit verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern vernetzt. Sie veröffentlicht Bücher, unter anderem 1910 das Kindermärchen "Schneeweiß und Rosenrot", das Heinrich Vogeler illustriert. Einen Namen macht Anna Goetze sich aber vor allem als Kultur-Journalistin: Sie schreibt über Kunst, Architektur und Literatur, außerdem verfasst sie Opernkritiken. Ihre meinungsstarken Artikel erscheinen in den Bremer Nachrichten, im Bremer Tageblatt und in verschiedenen Magazinen. "Wenn man heute in den Zeitungsarchiven nach ihr sucht, dann findet man dutzende, ja hunderte Texten, die sie geschrieben hat."

Innenarchitektin Elisabeth von Baczko in einem Damenzimmer, deren Möbel sie 1908 designt hat (Montage)
Innenarchitektin und Möbeldesignerin Elisabeth von Baczko lebte mit Anna Goetze in einer Wohngemeinschaft Bild: Familienbesitz | Montage Radio Bremen

Anna Goetze stammt aus dem Bürgertum – und hat doch in mancher Hinsicht eine ganz andere, moderne Art, zu denken und zu leben: Nicht nur verdient sie ihren eigenen Lebensunterhalt. Sie bleibt auch unverheiratet und lebt ausschließlich mit Frauen zusammen – am längsten mit der Fotografin Felicitas von Baczko, zeitweise auch mit deren Schwester Elisabeth, einer gefragten Innenarchitektin.

"Beide waren auf ihrem Gebiet außerordentlich bedeutend für Bremen und Anna Goetze teilte sich zeitweise eine Wohnung mit den beiden Baczko-Schwestern und lebte dann lange Zeit mit Felicitas von Baczko, in einer Wohnung zusammen, und nicht zuletzt in einer Wohnung direkt neben den Vereinigten Werkstätten am Wall. Gerade am Wall in Bremen hatte sich so ein bisschen das neue, das moderne Bremer Bürgertum versammelt, und diese modernen Frauen lebten dort nicht ganz zufällig."

Bürgerlicher Wohnstil: "Geschmacklos!"

Die Wahlbremerin schreibt zu einer Zeit, in der sich die Kunstszene sehr verändert: Kunstschaffende gehen noch nie da gewesene Wege, neue Stile bilden sich heraus - begleitet von einem lebendigen Diskurs im Zeitungs-Feuilleton. Auch im Alltag wird das Schöpferische wichtiger: Das neu entstandene Kunstgewerbe stellt Gebrauchsgegenstände her, die zugleich äußerlich einem künstlerischen Anspruch gerecht werden sollen. Etwas, wovon Anna Goetze begeistert ist.

"Alle Kunst muss im Haus anfangen", schreibt sie in einem Artikel über moderne Inneneinrichtungen. Der alte, bürgerliche Wohnstil kommt dagegen bei ihr nicht gut weg: "Sehen wir unsere Wohnungen doch einmal näher an, da fallen uns zuerst die Unnatur und Geschmacklosigkeit der abscheulichen Überladungen der Stuckverzierungen an der Decke auf. Herunter mit ihnen! Sie drücken und beengen das Zimmer in den meisten Fällen, während eine einfache weiße Decke mit feinen Linien-Ornamenten es frei und um viele Zentimeter höher erscheinen lassen würde.“

Alle Kunst muss im Haus anfangen.

Anna Goetze
Porträt von Anna-Maria Goetze
Bild: Archive Nils Aschenbeck

Anfang der 1920 Jahre wird die Journalistin auch Galeristin: Gemeinsam mit dem Künstler und Architekten Carl Weidemeyer führt sie in der Bremer Innenstadt das „Grafische Kabinett Bremen“, eine bedeutende Galerie für moderne Kunst. Gut zehn Jahre später verlässt Anna Goetze dann gemeinsam mit ihrer Freundin Felicitas von Baczko Bremen und geht nach Berlin, später dann nach Bad Pyrmont, wo sie 1943 stirbt.

Berühmt geworden ist sie nie, stellt der Kulturwissenschaftler Nils Aschenbeck fest: "In Bremen kannte sie vermutlich jeder, der Zeitung las, aber die bedeutende Rolle, die sie in dieser Kunstgewerbe-Bewegung in Bremen hatte, als Beobachterin, aber auch als Teilhaberin, wurde nie wirklich gewürdigt. Und so ist Anna Goetze heute ganz unbekannt und ganz zu Unrecht vergessen."

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 01.07.2023, 13:40 Uhr

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