Im Porträt Als "Sprayer-Oma" gegen Nazi-Parolen: Irmela Mensah-Schramm
Standdatum: 30. März 2023.
Eine Frau bekennt Farbe: "Sprayer-Oma" Irmela Mensah-Schramm geht gegen braune Parolen vor. Zehntausende rassistische und antisemitische Aufkleber und Graffitis hat die selbsternannte "Polit-Putze" bundesweit schon von Ampeln, Stromkästen oder Bushaltestellen entfernt.
Mit Nagellackentferner, Ceranfeldschaber, Edding und Farbspray bewaffnet zieht sie los. Rund viermal die Woche ist Irmela Mensah-Schramm auf Deutschlands Straßen unterwegs. Aus Runen macht sie kleine Männchen, NS-Symbole sprüht sie mit Herzchen über.
Niemand hat sich daran gestört.
empört sich die Rentnerin über Nazi-Aufkleber in der Nachbarschaft.
Mitte der 80er Jahre fing alles an: Da entdeckte die Berlinerin eines Morgens an ihrer Bushaltestelle einen Aufkleber, der Freiheit für Rudolf Heß forderte. Das machte sie fassungslos: "Niemand hat sich daran gestört". Kurzentschlossen nahm sie ihren Haustürschlüssel und kratzte alles ab. "Dieser Dreck ist weg!", sagte sie sich und hatte fortan Spachtel und Dispersionsfarbe dabei. Politisch aktiv wurde Irmela Mensah-Schramm mit Anfang 30: 1956 sah sie Bilder vom Aufstand in Ungarn und war geschockt. In ihrem Stuttgarter Elternhaus wurde viel vom Krieg erzählt, doch Themen wie die Verfolgung der Juden, Sinti und Roma waren tabu. Später besuchte sie das Konzentrationslager Sachsenhausen: "Das hat mich umgehauen. Ich habe mich so geschämt.", erinnert sie sich.
Mit Nagellackentferner gegen Hass und Hetze
Inzwischen ist die gebürtige Stuttgarterin ein wahrer Profi. Ein Ceranfeldschaber löst Nazi-Aufkleber am besten. "Wenn sie keinen Widerstand sehen, dann steigern sie das", weiß die gelernte Erzieherin. Sie sieht, wie sich die Parolen verändern: Heute werden Ausländer kriminalisiert, es wird gegen Juden und Muslime gehetzt. "Fotografiert und weggeputzt", das ist Irmelas Antwort darauf. 93.400 Beweise hat sie seit 2007 gezählt und in 140 Ordnern alle Funde seit 1988/89 dokumentiert. In ihrer Ausstellung "Hass vernichtet" hat sie die Stücke mehrfach ausgestellt und spricht bundesweit vor Schulklassen. Einige wenige Initiativen unterstützen sie dabei. Bei dem Kalenderprojekt "Mit bunten Farben gegen braune Parolen", das sie teilweise selbst finanziert hat, wurde sie von einer Freundin unterstützt: Hier gestalten Schulkinder Hassbotschaften um.
In dem Moment, als er den Urteilspruch gesprochen hat, sind in Halle die Schüsse gefallen – genau in der Stunde.
Die „Sprayer-Oma“ stand 2019 wegen Sachbeschädigung vor Gericht.
Für die Rechte ist die Rentnerin ein Feind. Immer wieder wird sie beim Abkratzen bedrängt, offen bedroht und wegen Sachbeschädigung angezeigt. Einmal wurde sie sogar mutwillig angefahren. Danach hat sie mit Gipsverband weitergemacht: "Ich bin bekannt dafür, dass ich aufhöre, wenn ich fertig bin." 2019 stand sie vor Gericht und weigerte sich, 500 Euro Bußgeld zu zahlen. "Ich geh gerne ins Gefängnis, ich habe auch Vorbilder", sagte sie dem Richter und: "In dem Moment, als er den Urteilspruch gesprochen hat, sind in Halle die Schüsse gefallen – genau in der Stunde.", erinnert sie sich.
Vom Staat im Stich gelassen
Der allgemeine Schock und das Entsetzen über das rassistische Attentat in Halle hat die Medien auch auf Irmelas Prozess aufmerksam gemacht. Ein Anwalt hat ihr dann geholfen, ihr Engagement fand zunehmend Nachahmer und Mitstreiter. Vom Staat ist Irmela Mensah-Schramm jedoch enttäuscht: "Mit Auszeichnungen ist es nicht getan.", sagt sie und fordert echte Unterstützung. Als im Jahr 2000 ein ehemaliger SS-Veteran mit einem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, war das Maß voll. Die ehemalige Heilpädagogin gab ihre eigene Auszeichnung offiziell zurück.
Mit 77 Jahren blickt die Menschenrechtsaktivistin auf ein reiches Leben zurück, dass sie mit zwei Ehen, aufregenden Reisen und ihrer Arbeit in der Heimerziehung auch privat glücklich gemacht hat. Die "Sprayer-Oma" will weitermachen, so lange sie kann. Einmal fragte sie eine Bekannte empört: "Warum lachst du, wenn du ein Hakenkreuz siehst?" "Weil ich weiß, dass es gleich weg ist."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 31. März 2023, 18:05 Uhr