Im Porträt Leonid Wolkows gefährlicher Kampf gegen Putin
Standdatum: 7. Februar 2023.
Leonid Wolkow versucht seit rund zehn Jahren ein Gegengewicht zum "System Putin" in Russland aufzubauen. Als Wahlkampfmanager und enger Vertrauter des inhaftierten Dissidenten Alexei Nawalny hat Wolkow die politischen Prozesse der vergangenen Jahre in Russland miterlebt und war selbst mehrfach inhaftiert. Heute lebt er im litauischen Exil und ist politischer Direktor der Antikorruptionsstiftung, die Nawalny gegründet hat.
Eigentlich wollte er IT-Unternehmer werden, aber dann zog es Leonid Wolkow in die Kommunalpolitik. 1980 geboren, wuchs er in Jekaterinburg auf, wo er in der Schule Deutsch als Fremdsprache hatte. Als Jugendlicher verbrachte er ein Jahr in Dresden, weil der Vater dort eine Gast-Professur übernahm. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass Leonid Wolkow sich auch auf Deutsch mühelos verständigen kann.
Es geht ihm nicht gut.
Leonid Wolkow über den aktuellen Zustand des russischen Dissidenten Alexei Nawalny
2009 wurde Leonid Wolkow in die städtische Duma von Jekaterinburg gewählt. 2013 leitete er die Kampagne Alexej Nawalnys für dessen Kandidatur als Moskauer Bürgermeister. Heute ist er die rechte Hand von Nawalny, der wiederum der aussichtsreichste Widersacher Wladimir Putins ist. Nach einer Vergiftung mit dem Kampfstoff Nowitschok wurde dieser in der Berliner Charité behandelt und nach seiner Rückkehr nach Russland verhaftet: "Es geht ihm nicht gut. Er ist seit Mitte August immer in einer Strafzelle, die ist 2,5 bis 3 Quadratmeter groß. Diese Strafzelle hat nichts außer einem Tischchen, einen Stuhl und ein Klappbett, was von sechs bis 22 Uhr hochgeklappt ist. Da kann man auch nicht liegen", erzählt Wolkow von Nawalnys Haftbedingungen.
Die rechte Hand von Alexei Nawalny
Seit über einem Jahrzehnt engagiert sich Wolkow an Nawalnys Seite gegen Korruption und für ein demokratisches Russland. Doch das war nicht immer so. Mitte der 2000er Jahre war Leonid Wolkow noch IT-Unternehmer und beschäftigte sich mit Digitalisierungsfragen: "Ich wusste, es gab wenige Menschenrechtsverletzungen, aber dachte, das sind kleine Fälle, die man später korrigieren können wird. Und darüber sollten wir uns nicht so kümmern, sondern über Digitalisierung und ökonomische Entwicklung sprechen. Das war wirklich meine Meinung – und das war total falsch!" erinnert er sich. Sein vorsichtiger Optimismus verschwand 2011, als Putin und Medwedew die Rollen tauschten und der ehemalige KGB-Mann Putin wieder Präsident wurde: "Der 24. September 2011 war wirklich ein Schock für die Zivilgesellschaft." Spätestens von da an, so der zweifache Familienvater Wolkow, entwickelte sich seine Heimat zu einer Diktatur.
Es gibt ein Russland des Fernsehens und ein Russland des Internets.
Leonid Wolkow über russische Staatspropaganda
Laut Wolkow geht ein Riss durch die russische Bevölkerung: auf der einen Seite die Fernsehzuschauer, deren politische Meinung der Kreml bestimmt, auf der anderen Seite die Internetnutzer, die sich zu einem Großteil ein anderes politisches System wünschen: "Es gibt ein Russland des Fernsehens und ein Russland des Internets. (…) Das Fernsehen ist total kontrolliert durch Putin, durch den Kreml. Das ist eine sehr, sehr erfolgreiche Propaganda-Maschine und das bleibt auch so. Und ja klar: Jüngere Leute verbringen mehr und mehr Zeit online und wir sehen auch wie Putins Unterstützung nach unten geht mit einem Generationswandel. Alle Russen, die unter 35 oder 40 Jahre sind, haben ja in ihrem Leben nichts Anderes als Putin gesehen. Und sie sind einfach schon müde."
Kritische Stimmen werden lauter
Alexei Nawalnys Stiftung betreibt seit zehn Jahren ein eigenes Meinungsforschungsbüro. An den Umfrageergebnissen, so Wolkow, sei klar zu erkennen, dass sich die öffentliche Meinung in Russland dramatisch verändere. Auch der Krieg in der Ukraine trifft nicht überall auf Zustimmung: "Ich kann immer unterscheiden zwischen Putin und Russland. Ich kann immer unterscheiden zwischen Regime, Propaganda und der eigentlichen russischen Bevölkerung", so Wolkow.
Es gibt Risiken. Es gab hier in Berlin den Tiergarten-Mord, es gab Nowitschok-Vergiftungen in Großbritannien.
Leonid Wolkow über sein Leben im litauischen Exil
Leonid Wolkow lebt mittlerweile im Exil im litauischen Vilnius. Dort kann er sich ohne Personenschützer frei bewegen: "Es gibt Risiken. Es gab hier in Berlin den Tiergarten-Mord, es gab Nowitschok-Vergiftungen in Großbritannien, aber ich versuche nicht zu viel darüber zu denken. Denn was könnte ich denn machen? Mich in einen Bunker sperren? Ja – dann könnte ich aber nicht arbeiten und dann wäre alles umsonst", sagt der 42-Jährige. Im Oktober 2022 erschien sein Buch "Putinland – der imperiale Wahn, die russische Opposition und die Verblendung des Westens". Darin analysiert er Putins Weg an die Macht und die politischen Entwicklungen in seinem Heimatland. "Ich liebe Russland. Das ist ein schönes Land, welches eigentlich ein viel besseres Schicksal verdient", sagt Wolkow mit etwas Wehmut in der Stimme. Er selbst träumt davon, irgendwann noch einmal seine Karriere als IT-Unternehmer fortsetzen zu können – vielleicht sogar in Kalifornien: "Ich habe einige Start-Up-Ideen für die ich nie Zeit hatte, sie zu verwirklichen."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 7. Februar 2023, 18:05 Uhr