Was wir lesen 5 Bücher, mit denen Sie um die Welt reisen
Standdatum: 18. Juli 2023.
Der Urlaub steht vor der Tür. Nun muss man sich entscheiden: Welches Land soll dieses Mal bereist werden? Bei Büchern ist das anders: Mit ihnen können Sie im Freibad, auf dem Balkonstuhl oder in der Mittagspause in kürzester Zeit überall sein. Wenn sie wollen, sogar auf fünf Kontinenten gleichzeitig. Wir haben Ihnen solch eine literarische Weltreise zusammengestellt – mit fünf Büchern, die es sich in diesem Sommer zu lesen lohnt.
1 Italien
Lidia Ravera: Sprich mit mir
Die 66-jährige Giovanna ist eine ehemalige Terroristin. Ihre Gefängnisstrafe hat sie längst abgesessen. Trotzdem lebt sie 2019 noch immer wie in Einzelhaft – vollkommen zurückgezogen in ihrer Wohnung in Rom. Erst als eine junge, chaotische Patchwork-Familie in die Nachbarwohnung einzieht, überwindet Giovanna ihre soziale Isolation und wird sogar zur Ersatz-Oma. Doch als Giovannas eigene Generation ins Spiel kommt, in Gestalt des Großvaters der Nachbarfamilie, wird es unangenehm und hochdramatisch für die ehemalige Terroristin.
Warum lohnt sich das Lesen?
Die intensive und originelle Story trifft direkt ins Herz: Isolation, Einsamkeit und Selbstbestrafung der ehemaligen Terroristin werden sehr sensibel beschrieben. Zugleich wirft Lidia Ravera einen kritischen Blick auf ihre Generation, die Alt-68er. Spannend ist der Rückblick auf die bleierne Zeit des Terrorismus in Italien. Und bei alledem ist Lidia Ravera eine großartige Erzählerin.
2 Nigeria
Ayòbámi Adébáyò: Das Glück hat seine Zeit
An zwei sehr unterschiedlichen Schicksalen wird die soziale Kluft und Zerrissenheit Nigerias deutlich: Der 15-jährige Eniola lebt in großer Armut, nachdem der Vater seinen Job verloren hat. Ohne Schulgeld muss der Junge die Schule verlassen und wird schließlich für den Schlägertrupp eines korrupten Politikers rekrutiert. Die andere Hauptfigur, Wuraola, eine junge Assistenzärztin im Krankenhaus, stammt aus einer wohlhabenden Familie. Als Wuraolas künftiger Schwiegervater für ein politisches Amt kandidiert, reagiert der korrupte Amtsinhaber mit größter Brutalität.
Warum lohnt sich das Lesen?
Ayòbámi Adébáyò nimmt uns mit auf eine Reise nach Afrika jenseits von westlichen Klischees wie Strand, Safari und Folklore. Der Roman wirft einen Insider-Blick auf Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Dabei geht es vor allem um die Rolle der Frau in der nigerianischen Gesellschaft. Die Romanfiguren sind lebendig und glaubwürdig, und ihre dramatischen Herausforderungen lesen sich spannend.
3 Japan
Igort – Kokoro: Der verborgene Klang der Dinge
Der italienische Zeichner und Comic-Künstler Igort erzählt in dieser Graphic Novel auf sehr persönliche Weise von seinen Reisen durch Japan. Mit Bleistift, Kugelschreiber, Klebstoff und Aquarellfarben fängt er ein, was ihm in diesem Land begegnet: Gegenstände, Gepflogenheiten und auch Menschen, die für ihn die japanische Kultur verkörpern. Etwa Ryuichi Sakamoto, berühmt für seine elektronische Musik oder Rumiko Takahashi, eine der angesehensten Comic-Zeichnerinnen Japans. Seine Eindrücke verbindet Igort zu einer kunstvollen Collage in Buchform. Mal gegenständlich, mal surreal gibt er so tiefe Einblicke in die japanische Kultur und spürt dabei immer auch dem nach, was man in Japan „Kokoro“ nennt – „das Herz im spirituellen Sinne“.
Warum lohnt sich das Lesen?
„Kokoro“ ist eine faszinierende Reise durch ein Land, das uns hier im Westen buchstäblich fern liegt. Igort bringt es ganz nah heran, indem er sich auf allen Ebenen von Japan inspirieren und berühren lässt – und das berührt auch beim Lesen.
4 USA
Tess Dunn: Der Kaninchenstall
Der Kaninchenstall ist ein Wohnblock in einem der vielen abgewrackten Industrieorte des Mittleren Westens der USA. Nach Jahrzehnten des Niedergangs soll Vacca Vale endlich wieder zum Leben erwachen, dank eines ambitionierten Bebauungsplans. Doch dafür muss das Naturschutzgebiet weichen, der einzige Ort, an dem sich die fragile Blandine noch wohl fühlt. Mit aufwändigen Protestaktionen versucht sie, die Planungen im Alleingang aufzuhalten, während ihre drei gleichzeitig in sie verliebten Mitbewohner ausgerechnet mit Tieropfern ihre Zuneigung gewinnen wollen. Am reichen Ende der Stadt lebt Blandines Musiklehrer mit Frau und Kind, was ihn nicht davon abhält, seine hochbegabte, aber minderjährige Schülerin zu verführen. Und über dem Chaos schwebt der Geist der Mystikerin Hildegard von Bingen.
Warum lohnt sich das Lesen?
Eine moderne Heilige, ausgerechnet im trostlosen Indiana, dazu ein bunter Haufen Außenseiter und eine Erzählweise, die sich zwischen Brillanz und Übermut ihren ganz eigenen Weg bahnt. Dieses Romandebüt ist keine Achterbahnfahrt, sondern gleich ein ganzer Jahrmarkt – Geisterhaus, Spiegelkabinett und Autoscooter inklusive.
5 Australien
Tracey Lien: All die ungesagten Dinge
Cabramatta, ein Vorort von Sydney: In einem beliebten Restaurant feiert Danny Tran mit Freunden seinen Highschoolabschluss. Plötzlich wird er vor aller Augen brutal zu Tode geprügelt. Aber warum und von wem? Auf der Suche nach Antworten stößt Dannys große Schwester Ky auf eine Mauer des Schweigens. Die „Whodunnit“-Frage bildet den roten Faden durch diese spannende Geschichte. Gleichzeitig verhandelt der Roman die Erfahrungen vietnamesischer Geflüchteter in Australien.
Warum lohnt sich das Lesen?
Die Traumstadt Sydney, aus einer unbequemen und weitgehend unbekannten Perspektive betrachtet: Seit dem Vietnamkrieg lebt in Cabramatta die größte vietnamesische Community Australiens. Tracey Lien schildert sehr eindrucksvoll diese Parallelwelt im Schatten – geprägt von Alltagsrassismus, Kriegstraumata, Tradition und Aberglaube.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 29. Juni 2023, 14:13 Uhr.