Frauengeschichte(n) aus unserer Region Ihrer Zeit voraus: Auguste Kirchhoff engagierte sich für Frauenrechte
Standdatum: 20. März 2021.
Vor gut 100 Jahren durften Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen. Dafür hatten sogenannte Frauen-Stimmrechtsvereine jahrzehntelang gekämpft. Viele der Aktivistinnen von damals sind trotz ihres Engagements in Vergessenheit geraten. So erging es auch einer Bremerin, die sich auch für die Rechte von Müttern einsetzte – vor allem von unverheirateten: Auguste Kirchhoff. Inzwischen ist eine Straße in Bremen nach ihr benannt und ihre Leistungen in der Bremer Geschichte werden gewürdigt.
Im April 1915 verstößt Auguste Kirchhoff einmal zu oft gegen die Regeln. Da droht sogar ihre Familie sich von ihr abzuwenden. Während in ganz Europa der Erste Weltkrieg tobt, reist die 48-jährige Bremerin zusammen mit anderen Vertreterinnen der Deutschen Frauenbewegung nach Den Haag. Sie besuchen eine internationale Frauen-Friedenskonferenz – und wollen ein Zeichen setzen gegen den Krieg und für Frauenrechte. In Bremen sind die Menschen deshalb außer sich.
Einsatz für ein Wahlrecht für alle
Auguste Kirchhoff gehörte zu den radikalsten Vertreterinnen der Deutschen Frauenbewegung. Vorbestimmt war ihr Weg nicht: 1867 in Asbach in Rheinland-Pfalz geboren, wächst sie in bürgerlichen Verhältnissen auf. Mit 21 heiratet sie den Rechtsanwalt und späteren Senator Gerhard Heinrich Kirchhoff. Die beiden ziehen in seine Heimatstadt Bremen. Die Kirchhoffs bekommen fünf Kinder und veranstalten gern Konzerte zu Hause, Auguste ist die fröhliche Gastgeberin. Doch das reicht ihr nicht aus, erzählt Rebecca Gefken vom Belladonna-Archiv in Bremen: "Sie hat sich engagiert für Frauen, die unverheiratet Mütter geworden sind, die oft in prekären Situationen in Bremen gelebt haben und die auch von der Gesellschaft ausgestoßen wurden."
Aus dem standestypischen Ehrenamt in einem Mütterheim wird Auguste Kirchhoffs Lebensaufgabe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Frauen noch vollkommen von Männern abhängig: finanziell und auch gesellschaftlich. Sie durften weder wählen noch einen Beruf ausüben, auch in politischen Parteien waren sie nicht zugelassen. Vereine waren der einzige Weg, um etwas zu bewegen. Mit Ende 30 schließt sich also auch Auguste dem Verein für Mutterschutz und der Frauen-Stimmrechtsbewegung an.
Rebecca Gefken erklärt, warum Kirchhoff als "radikal" gilt: "In ihrer politischen Arbeit hat sie sich für das Wahlrecht eingesetzt. Ich sage hier ganz bewusst 'das Wahlrecht', weil es ihr nicht nur um das Frauenwahlrecht ging, sondern um ein Wahlrecht für alle Menschen." Damit geht Auguste Kirchhoff einen Schritt weiter als andere Frauenrechtlerinnen. Vielen von ihnen würde es schon reichen, wenn wohlhabende Frauen wählen dürften. Damals dürfen in Bremen nämlich noch nicht einmal alle Männer wählen, denn zu der Zeit gibt es hier ein Klassenwahlrecht. Viele Frauenrechtlerinnen zu dieser Zeit wollen, dass das auch künftig so bleibt.
Mütterrechte im Fokus
Und noch ein Thema bewegt Auguste Kirchhoff: Sex ohne Ehe darf sein, egal, welches Geschlecht. Kirchhoff ist für ihr forsches Auftreten und ihre klaren Worte bekannt. Sie erklärte in einer Diskussion für den Mutterschutzverein: "Warum soll denn ein Fehltritt bei der Frau mit dem Ruin des eigenen Lebens gestraft werden, während dem Mann bei gleichen Vergehen die Welt mit ihren höchsten Ehrenämtern offensteht?" Laut Rebecca Gefken setzt Kirchhoff sich sehr dafür ein, dass auch unverheiratete Mütter nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen werden.
Die Aktivistin nutzt ihre Privilegien, um benachteiligten Menschen eine Stimme zu geben. Sie will, dass Sexarbeiterinnen nicht mehr bestraft und ausgegrenzt werden. Den Abtreibungsparagrafen 218 will sie abschaffen, weil Frauen alleine über eine Abtreibung entscheiden müssten. Sie gründet eine Beratungsstelle für hilfsbedürftige Frauen und Mütter. Sie kämpft für das, was wir heute unter Mutterschutz verstehen
Dann beginnt der Erste Weltkrieg. Die Bemühungen der Frauen-Stimmrechtsbewegung geraten ins Stocken – genauso wie die gesetzlichen Fortschritte für Mütter. Auguste Kirchhoff erweitert in dieser Zeit ihr Engagement, erzählt Rebecca Gefken: "Auguste Kirchhoff war eine starke Pazifistin und ist damit immer in die Öffentlichkeit getreten – auch in den Kriegsjahren. Das heißt, da, wo auch von Frauen gefordert wurde, sich für den Krieg einzusetzen und patriotisch zu sein, die Väter und Söhne zu unterstützen, hat sie gesagt, dass sie nicht dahintersteht."
"Das Eintreten für seine Überzeugung legt der Mensch nicht ab wie ein Kleid auf Wunsch eines königlichen Ibisses, wenigstens ein Mensch wie ich nicht, ohne davon einen innerlichen Knacks zu kriegen."
Auguste Kirchhoff, Aktivistin für Frauen- und Mütterrechte
Nach ihrem Besuch 1915 in Den Haag sind viele Frauen und Männer wütend auf Auguste Kirchhoff. Mit einer Unterschriftenliste wird sie in der Bremer Presse öffentlich diffamiert. Das bringt auch ihren Mann in Bedrängnis, der inzwischen dem Bremer Senat angehört. Es gibt Spannungen in der Ehe. Aber sie könne nicht anders als zu kämpfen, schreibt Augste Kirchhoff ein Jahr danach in einem Brief: "Das Eintreten für seine Überzeugung legt der Mensch nicht ab wie ein Kleid auf Wunsch eines königlichen Ibisses, wenigstens ein Mensch wie ich nicht, ohne davon einen innerlichen Knacks zu kriegen."
Auguste Kirchhoff bleibt standhaft – und auch ihr Mann unterstützt sie weiterhin. 1918 ist der Krieg zu Ende, das Kaiserreich auch. Das Frauenwahlrecht kommt – und die inzwischen 51-Jährige macht weiter, jetzt erst recht: Mutterschutz, Frieden, Gleichberechtigung, das bleiben ihre Ziele.
Nationalsozialismus beendet Engagement
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten beendet schließlich Augste Kirchhoffs Arbeit, erzählt Rebecca Gefken: "1933 wurden alle Vereine und Verbände, in denen sie aktiv war, aufgelöst. Und ab dem Zeitpunkt hat sie sich eigentlich in ein privates Leben zurückgezogen und konnte weiterhin nicht sichtbar politisch aktiv sein."
Als Auguste Kirchhoff 1940 stirbt, ist der Frieden in weite Ferne gerückt, Frauen- und Mütterrechte haben die Nazis an ihrer Ideologie ausgerichtet. Auf ihrem Grabstein auf dem Riensberger Friedhof steht nichts von ihrem Engagement – "Die Liebe ist stark wie der Tod" steht über dem Namen ihres Mannes und ihrem: Auguste Kirchhoff.