Frauengeschichte(n) aus unserer Region Ein Park für alle – diese Bremerin gründete den Vegesacker Stadtgarten
Standdatum: 5. August 2021.
Der Stadtgarten Vegesack liegt im Norden Bremens, direkt an der Weser. Dass es ihn seit fast 100 Jahren gibt, ist auch der Lehrerin Johanna Borcherding zu verdanken.
Wer sich auf eine Bank im Stadtgarten Vegesack setzt, hat uralte Bäume im Rücken und blickt auf die Weser. Dass man hier heute durch einen öffentlichen Garten spazieren kann, ist auch einer Frau zu verdanken – der Lehrerin Johanna Borcherding. Sie hat die Privatgärten Anfang des 19. Jahrhunderts öffentlich gemacht. Denn damals konnte sich nur Menschen ein Stück Grün direkt am Wasser sichern, die viel Geld und Einfluss hatten. Großverdiener, Reeder und Kapitäne hatten große Landsitze, die bis an die Weser reichten, erzählt Irene Boschen vom Vegesacker Heimat- und Museumsverein. Einen öffentlichen Park gab es nicht. Aber: "Johanna und einige andere namhafte Vegesacker haben dafür gesorgt, dass es einen Stadtgarten gab."
Seit der Kindheit mit der Natur verbunden
Irene Boschen arbeitet seit mehr als 40 Jahren ehrenamtlich für den Heimatverein. Hier leitet sie das Archiv, in dem sich die Stadtgeschichte bis zur Decke stapelt – in kleinen hölzernen Karteikästen. "Borcherding" steht auf einem. Darin steckt alles, was Irene Boschen über Johanna Borcherding gesammelt hat: Bilder, Ehrungen und viele Zeitungsartikel.
Geboren wurde Johanna Borcherding als Johanna Maria Catharina Borcherding am 5. März 1867 in Vegesack. Ihr Vater ist ein Naturforscher und Lehrer – Johann Friedrich Borcherding. Er hat zu Schalenweichtieren wie Schnecken und Muscheln geforscht und sich damit einen Namen gemacht. Als Kind begleitet Johanna ihn auf seinen Spaziergängen und Exkursionen im Bremer Umland.
Sie hatte selbst Gärten zu Hause und irgendwie nicht eingesehen, dass alle anderen Vegesacker keine großen Gärten hatten.
Irene Boschen über Johanna Borcherdings Motivation, den Stadtgarten anzulegen.
Johanna Borcherding beschließt, selbst Lehrerin zu werden. Fünf Jahre lang unterrichtet sie im niedersächsischen Bersenbrück, der Heimat ihres Vaters. Dann geht sie nach Vegesack zurück. Ihre Liebe zur Natur prägt auch ihren Unterricht, sagt Irene Boschen: "Sie hat immer mit Pflanzen zu tun gehabt, hatte selbst Gärten zu Hause. Und sie hat einen Schulgarten geleitet. Sie hat irgendwie nicht eingesehen, dass alle anderen Vegesacker keine großen Gärten hatten."
Nach Zeitungsaufruf des Bürgermeisters: Stadtgartenverein wird gegründet
1929 gründet Johanna Borcherding den Stadtgarten. Die Stadt Vegesack hat es geschafft, einen Hektar Garten direkt an der Weser zu kaufen. Hier pflanzte der Botaniker Albrecht Roth um 1800 viele botanische Raritäten. Doch der Stadt fehlt das Geld, um den Garten zu bewirtschaften und zu pflegen.
Der damalige Bürgermeister Werner Wittgenstein startet deshalb einen Aufruf in der Zeitung: "Vegesack ist reich an schönen Privatgärten, aber arm an öffentlichen Anlagen. Es ist aber für die Stadt im Augenblick außerordentlich schwer, sich neue Zinslasten aufzuladen. Wir rufen daher zur Gründung eines Stadtgartenvereins auf und hoffen, nicht nur die nötigen Stauden unentgeltlich zu erhalten, sondern auch genügend laufende Mittel, um davon Arbeitskräfte zu beschaffen. Fräulein Borcherding, die bei der Leitung ihres Schulgartens erfreuliche Erfolge erzielt hat, wird die praktische Leitung übernehmen."
Mit Generationen von jungen Mädchen hat sie im Stadtgarten rumgewühlt, angepflanzt und Unterricht gegeben. Man kannte sie.
Irene Boschen über Johanna Borcherdings Engagement.
Johanna Borcherding wird Gründungsmitglied der ersten Stunde. Sie packt mit an, pflanzt mehr als 1.000 heimische Sträucher und Blumen. Viele davon hat sie selbst vorgezogen. Und sie motiviert viele ihrer Schülerinnen und Vegesackerinnen dazu, sich auch im Garten einzubringen, erinnert sich Irene Boschen. Sie selbst hat Johanna Borcherding kurz vor ihrem Tod noch kennengelernt. "Mit Generationen von jungen Mädchen hat sie im Stadtgarten und im Garten des Lyzeniums rumgewühlt und angepflanzt und Unterricht gegeben. Man kannte sie."
Zerstörung und Neugestaltung
Doch dann kommt der Zweite Weltkrieg. Der Stadtgarten wird nahezu komplett zerstört, denn auf dem Gelände werden Bunker gebaut. Doch mit Hilfe von Johanna Borcherding und anderen Vegesackern wird er wieder neu bepflanzt. Für ihre Arbeit im Garten bekommt Johanna Borcherding 1951 vom Stadtgartenverein die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Wenige Jahre später, am 20. November 1960, stirbt sie.
Wer heute durch den Stadtgarten Vegesack streift, findet überall noch ihre Spuren. Ob zwischen blühenden Rosen oder an ihrer Lieblingsstelle im Westteil des Gartens – dort steht eine steinerne Sonnenuhr, "der Mutter des Stadtgartens und ihren Helfern" ist eingemeißelt. So bleibt ein Teil von Johanna Borcherding bis heute. Fest verankert.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 7. August 2021, 11:40 Uhr.