Frauengeschichte(n) aus unserer Region Diese Frauen waren in Bremen Pionierinnen auf dem Rad
Standdatum: 8. September 2022.
Etwa ein Viertel aller Wege legen Bremerinnen und Bremer mit dem Fahrrad zurück. In keiner anderen deutschen Stadt mit mehr als einer halben Million Menschen nutzen so viele das Rad. Das war nicht immer so. Vor allem Frauen scheuten lange das Rad, ganz früher war es sogar verboten. Zwei Frauen haben sich, trotz aller Moralvorstellungen und Hindernisse, schon Ende des 19. Jahrhunderts auf das Rad getraut: Aline von Kapff und Ricarda Huch.
Das Fahrrad war ein männliches Fortbewegungsmittel.
Beatrix Wupperman
Wer sich Ende des 19. Jahrhunderts auf ein Hochrad schwingt, der muss schwindelfrei sein. Bis zu zwei Meter hoch ist das große Vorderrad, auf dem sind Sattel und Pedale montiert. Ein deutlich kleineres Hinterrad stabilisiert das Vorderrad und macht es möglich zu lenken.
Beatrix Wupperman hat sich viele Jahre mit Fahrradpolitik und -Geschichte beschäftigt. Sie weiß, warum Frauen lange Zeit nicht Rad gefahren sind: "Das Fahrrad war ein männliches Fortbewegungsmittel. Allein deswegen, weil die Frauen im 19. Jahrhundert (...) faktisch keinen Beruf lernen. Sie verdienten viel weniger Geld als die Männer, wenn sie arbeiteten. So dass sie gar nicht die Mittel hatten sich ein Hochrad zu kaufen."
Neben dem Kostenfaktor gibt es für Frauen noch weitere Hürden: bis Anfang des 20. Jahrhunderts schickt es sich nicht für eine Frau auf ein Rad zu steigen, sagt Beatrix Wupperman. Frauen tragen Korsetts. Damit Sport zu treiben oder sich ein bisschen mehr körperlich zu bewegen, als nur von der Küche ins Wohnzimmer, sei kaum vorstellbar, so Wupperman
Aline von Kapff: mutig und engagiert
Eine, der das nichts ausmacht, ist Aline von Kapff. Sie kommt 1842 in Bremen zur Welt und wächst in einer wohlhabenden Weinhändlerfamilie auf. Ihre Eltern sind liberal, Aline studiert Kunst in Paris und München. Sie ist die erste Frau, die in Bremen öffentlich Hochrad fährt. Und auch abseits des Rads ist Aline von Kapff engagiert und mutig. Sie ist mit Paula Modersohn-Becker und der Autorin Marga Berck befreundet und hat Kontakte in die Kunstszene. Aline setzt sich für den Leiter der Bremer Kunsthalle, Gustav Pauli, ein. Der will Werke von Impressionisten kaufen, die damals noch verpönt sind – unter anderem das Mohnfeld von Vincent van Gogh.
Ricarda Huch: Begeisterung für das Niederrad
Weil das Hochrad aber teuer und gefährlich ist, setzt sich mehr und mehr das Niederrad durch. Es ähnelt dem heutigen Fahrrad. Eine, die das Radfahren damit in Bremen bekannt gemacht hat, ist die Schriftstellerin Ricarda Huch. Sie lebt nur ein Jahr in Bremen, hat das Radeln aber hier für sich entdeckt, weiß Beatrix Wupperman. In einem Brief von 1896 schreibt sie, wie schön das Radfahren sei – trotz der blauen Flecke, die sie von der harten Federung bekommt.
Damals entstehen in Bremen auch die ersten Fahrradwege. Sie sind die ersten in Deutschland überhaupt. Dafür wird zum Beispiel in der Hollerallee ein Streifen besonders ebener Steine in die Mitte der Fahrbahn verlegt. Doch auch in dieser Zeit ist es noch ungewöhnlich, dass Frauen Radfahren. Es heißt, es schade der Fruchtbarkeit. Ricarda Huch aber schwärmt in einem ihrer Briefe, wie gut ihr das Radfahren bekommt: "Es muss aber doch gesund sein, weil die augenblickliche Wirkung so wahrhaft und reinigend ist."
Ich glaube, wenn alle Deutschen Rad führen, würden sie ihre dumpfe Sinnlichkeit verlieren und schöner und glücklicher werden.
Ricarda Huch in einem Brief an ihren Schwager
Wenige Jahre bevor Ricarda Huch nach Bremen kommt, promoviert die Braunschweigerin in Geschichte – als erste Frau in Deutschland. Nach einem Jahr zieht Ricarda Huch weiter nach Wien. Als sie im Mai 1897 Bremen verlässt, schreibt sie ihrem Schwager: "Ich glaube, wenn alle Deutschen Rad führen, würden sie ihre dumpfe Sinnlichkeit verlieren und schöner und glücklicher werden."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 10. September 2022, 13:40 Uhr