Frauengeschichte(n) aus unserer Region Schwester Kunigunde, eine Heldin auf dem Moped
Standdatum: 12. August 2022.

Wer an Frauen denkt, die die Gleichberechtigung vorangetrieben haben, hat wahrscheinlich Protestmärsche Anfang des 20. Jahrhunderts oder in den 1970er-Jahren im Kopf. Dabei gab es einige Frauen, die nicht auffällig in Erscheinung traten und doch Großes leisteten. Eine davon war die mutige Ordensschwester Kunigunde.
Frauengeschichte(n) aus der Region: Die Ordensschwester Kunigunde
Am 8. April 1945 stehen kanadische Truppen vor der niedersächsischen Stadt Haren (Ems). Die Bewohnerinnen und Bewohner müssen ihre Häuser verlassen, denn erste Bomben treffen den Kirchturm. Eine Frau kommt dieser Aufforderung nicht nach: Schwester Kunigunde. Sie greift ein weißes Bettlaken und klettert damit auf den Kirchturm. Dort rollt sie das Tuch als weiße Fahne aus. Der Beschuss hört auf, die Stadt wird friedlich übergeben und die mutige Schwester geht als Heldin in die Stadtgeschichte ein.
Ausbildung zur Erzieherin

Geboren wird Kunigunde 1914 als Theresia Schepers in Nordrhein-Westfalen. Sie ist eines von sieben Geschwistern einer Handwerksfamilie. Geld für die Ausbildung aller Kinder gibt es nicht. Deswegen wendet Theresia sich an die Schwestern der Göttlichen Vorsehung, eine katholische Ordensgemeinschaft. "Sie gaben durch ihr eigenes und berufstätiges Arbeiten den Mädchen ein Vorbild, dass Frauen in der Lage waren, einen Beruf zu ergreifen, dass es Berufe für Frauen gab und dass Frauen in diesen Berufen überaus erfolgreich sein konnten", erklärt die Historikerin Maria Anna Zumholz.
Viele Ordensschwestern arbeiten als Erzieherinnen und kümmern sich um Waisenkinder und alte Menschen – all das, was heute unter den Begriff "Care Arbeit" fällt. Theresia will auch Erzieherin werden. Mit 16 Jahren zieht sie in das Mutterhaus des Ordens nach Münster und beginnt ihre Ausbildung. "Was hätte sie für Möglichkeiten in ihrem Heimatdorf gehabt? (...) Als Ordensfrau trug sie ein Ordensgewand und gehörte einem eigenen, geweihten Stand an. Die Schwestern genossen ein ganz hohes Ansehen", sagt Maria Anna Zumholz.
Aus Theresia Schepers wird Schwester Kunigunde

Nach ihrer Ausbildung legt Theresia ein Gelübde ab, verspricht arm und keusch zu leben und nimmt einen neuen Namen an: Schwester Kunigunde. Mit nur 22 Jahren zieht sie nach Haren ins Emsland, um dort eine Kita zu leiten. Da sind die Nationalsozialisten schon drei Jahre an der Macht und katholische Tagesstätten sind ihnen ein Dorn im Auge. Sie wollen sie mit eigenen, ideologie-konformen Kitas ersetzen. Kunigunde aber kann das verhindern.
Irgendwann muss sie Haren verlassen. Sie hat keine Kraft mehr. Das passiert in ihrem Leben mehrfach, so Maria Anna Zumholz: "Sie war eine total engagierte Frau, die immer wieder dazu neigte, sich zu überfordern (...)."
Sie war unkonventionell und ging neue Wege. Ganz besonders als Pfarramtshelferin und Pastoralassistentin in Meerbeck, wo sie Hausbesuche mit ihrem Moped machte (...).
Historikerin Maria Anna Zumholz über Schwester Kunigunde
Sie musste sich für einige Zeit erholen. Anfang der 1960er-Jahre hatte sie wieder genug Energie, um sich einen Lebenstraum zu erfüllen: Sie ging als Missionarin nach Brasilien. Ein mutiger Schritt, den sie trotz sprachlicher Barrieren und gesundheitlichen Problemen ging – und zwar im Alter von 50 Jahren. Nach vier Jahren kehrte sie nach Deutschland zurück und arbeitete in verschiedenen Gemeinden. Sie fiel immer auf, sagt Maria Anna Zumholz: "Sie war unkonventionell und ging neue Wege. Ganz besonders als Pfarramtshelferin und Pastoralassistentin in Meerbeck, wo sie Hausbesuche mit ihrem Moped machte (...)."
Engagiert für die Gleichberechtigung

Ihre Herzensangelegenheit ist jedoch die Förderung junger Frauen. "Mein Ziel in der Erziehung ist, dass ich besonders den jungen Frauen vermitteln möchte, wie wichtig eine Ausbildung ist, damit sie besser am gesellschaftlichen Leben teilhaben!", soll die Schwester einmal in einem Interview gesagt haben. Und sie macht auch nicht vor der katholischen Kirche Halt: Ende der 1970er-Jahre bildet sie eine Messdienerinnen-Gruppe aus – offiziell dürfen Mädchen erst ab 1994 Messdienerinnen werden. Kunigunde ist es wichtig, dass Mädchen und Frauen auch in der Kirche gleichberechtigt sind. Nicht alle in der Kirche sind davon begeistert. 1985 hört Kunigunde auf zu arbeiten und stirbt 1999 in einem Altenheim in ihrer Heimat.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 13. August 2022, 13:38 Uhr