Die Morgenandacht Vulnerabilitätskompetenz
Standdatum: 26. Dezember 2024.
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Vulnerabilitätskompetenz – ein schwieriges Wort. Aber ein Wort mit einem interessanten Inhalt. Es macht Mut, Schwäche zu zeigen.
Seelsorge ist eine Kernaufgabe der Kirche. Wer Sorgen hat oder trauert, kann ein ein seelsorgerliches Gespräch suchen. Was aber bewirkt es, wenn sich ein Mensch einem Seelsorger oder einer Seelsorgerin anvertraut? Die Theologin Nika Höfler hat zu diesem Thema ihre Doktorarbeit geschrieben. Sie hat dazu Gesprächsprotokolle ausgewertet, die Klinikseelsorger und Klinikseelsorgerinnen geführt haben: mit Kranken, Angehörigen und dem Personal im Krankenhaus.
Ihre Erkenntnis: Am wichtigsten ist es, dass Seelsorger und Seelsorgerinnen offen sind für die Verletzlichkeit ihrer Gesprächspartner – sensibel, einfühlsam und aufgeschlossen für die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz, diese gilt ja auch für sie selber. Wer auf die Verletzlichkeit anderer angemessen reagieren will, muss sich zuvor mit seiner eigenen Verletzlichkeit auseinandergesetzt haben. Nur so lässt sich Verständnis aufbringen für die Not eines anderen Menschen. Nika Höfler fasst diese Erkenntnis zusammen in dem etwas sperrigen wissenschaftlichen Begriff der Vulnerabilitätskompetenz – also dem Vermögen, der Verletzlichkeit eines anderen Menschen einfühlsam und kundig zu begegnen. Im Zentrum der Seelsorge steht die Erkenntnis: alle Menschen sind verletzlich, erleben Nöte, sind von Sorgen umgetrieben.
Die Botschaft von Christi Geburt hat unmittelbar etwas zu tun mit dem Thema Verletzlichkeit. Denn in dem neugeborenen Kind Jesus zeigt sich Gott von seiner verwundbarsten Seite. Bedürftig von Geburt an, ohne festes Dach über dem Kopf, bedroht von der römischen Besatzungsmacht. In diesem hilflosen Wesen kommt Gott auf die Welt, sagt die biblische Botschaft. Nicht Macht und Stärke, sondern Verletzlichkeit zeichnen ihn aus, sein Leben lang, bis zu seinem Tod am Kreuz. Die Verletzlichkeit des männlichen Neugeborenen Jesus ist ein Gegenentwurf zu der alle Schwachheit ignorierenden bornierten Stärke, wie sie heute etwa mit dem Begriff der toxischen Männlichkeit bezeichnet wird, und diese breitet sich leider wieder aus.
Es hat Konsequenzen, wenn jemand seine schwache Seite ignoriert, seine eigene Verletzbarkeit leugnet. Dann landet er schnell auf der Seite derer, die ihre eigene Schwäche in anderen zu bekämpfen suchen, indem sie ihnen Gewalt antun. Beispiele dieser fehlgeleiteten Männlichkeit gibt es leider genug. Jesus ist anders. Und darum wird Jesus als Sohn Gottes bezeichnet. Seine Verwundbarkeit hilft unserer Verwundbarkeit. Denn in ihm können wir uns mit unserer Schwachheit wiederfinden und für die Schwachheit Anderer Verständnis aufbringen. So begegnet uns Gott. Das ist die seelsorgerliche Botschaft von Christi Geburt.