Die regionale Reportage Vor 75 Jahren erschütterten die "Blockland-Morde" Bremen
Standdatum: 20. November 2020.
Die Menschen sprachen von "Massaker" oder "Hinrichtung": Am 20. November 1945 wurden zwölf Menschen auf einem Hof im Bremer Blockland ermordet – unter ihnen auch mehrere Kinder. Es war ein brutaler Raubmord, der die Bremerinnen und Bremer schockierte und im ganzen Land Schlagzeilen machte. Eine Gruppe ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter wurde später für die Tat verurteilt, einige von ihnen hingerichtet. Eine besondere Wendung erhielt die Geschichte durch den einzigen Überlebenden.
Bremens beliebteste Radlerstrecke, die Blockland-Runde. Auf etwa halbem Weg zwischen Findorff und Dammsiel liegt rechter Hand ein zugewuchertes Grundstück. Auf dieser Wurt stand einmal der Hof Kapelle, dessen Wurzeln bis ins Mittelalter zurückreichen. In der Novembernacht 1945 wurde er Schauplatz eines grausigen Massenmordes. Damals lebten auf dem Hof die Familie Flothmeier, Angestellte, der eingeheiratete Wilhelm Hamelman, dessen Eltern, seine Frau und ihre Kinder.
Es war ein Raubüberfall, der als Massaker endete. In dieser Nacht sind zwölf Personen erschossen worden, teils aus nächster Nähe.
Helmut Dachale, Journalist, über die Blockland-Morde
Den Tathergang und die weiteren Entwicklungen hat der Journalist Helmut Dachale lange recherchiert – und ein Buch darüber veröffentlicht. Er sagt: "Es war ein Raubüberfall, der als Massaker endete. In dieser Nacht sind zwölf Personen erschossen worden, teils aus nächster Nähe."
Schwerverletzter Überlebender
Der 43-jährige Apothekerassistent Wilhelm Hamelmann überlebt schwerverletz als einziger die Tat, schleppt sich zum Nachbarhof, wo es ein Telefon gibt, und kann so noch in der Nacht der Polizei von dem Überfall berichten. Er spricht von einer Gruppe junger Polen, wohl ehemalige Zwangsarbeiter, die bewaffnet den Hof überfallen hätten.
Es gibt nur ein 50 Jahre altes Tondokument von Wilhelm Hamelmann dazu: "Der Anführer schloss das Kellerfenster, und was folgen würde, war mir klar: erschießen. Ich hatte mich etwas hinter meiner Familie erhoben, um sie schützend in meine Arme aufzunehmen. Dadurch verfehlte er den gezielten Kopfschuss und traf mich in die Lunge."
Todesstrafe für die Beschuldigten
Ein Lager für ehemalige Zwangsarbeiter in Gröpelingen wird von der Polizei durchsucht. Die Polizisten finden Gegenstände vom Hof Kapelle, mehrere Männer werden verhaftet. Der schwer verletzte Hamelmann identifiziert noch im Krankenhaus die Täter – und im Februar stehen acht Polen vor einem amerikanischen Militärgericht.
Es gibt Teilgeständnisse, aber nur wenige eindeutige Beweise. Die Mordwaffen sind verschwunden, ebenso ein vermeintlicher Anführer und Haupttäter. Am dritten Tag ergehen die Urteile: vier mal Todesstrafe, drei mal lebenslänglich, einmal 40 Jahre Gefängnis.
Überlebender will Begnadigungen
Aber die Geschichte ist noch nicht vorbei: Als der tiefgläubige Christ Hamelmann 22 Jahre später erfährt, dass drei der Täter trotz Begnadigung immer noch im Gefängnis sitzen, nimmt er Kontakt auf – bemüht sich um ihre Entlassung.
"Da hat er sich um diese drei gekümmert, hat auch Besuche gemacht im Zuchthaus, hat sich für sie eingesetzt und hat es zusammen mit einer Journalistin aus Hamburg geschafft, dass diese drei dann noch entlassen wurden", erzählt Dachale. Der Mann, dessen Frau und Kinder ermordet wurden, vergibt den Tätern, die selbst einst Opfer des NS-Systems gewesen waren.
"Er, der später überfallen wurde, dessen Familie ermordet wurde, dieser Mann hatte vorher eine direkte Nähe zu Zwangsarbeitern, wusste um das Schicksal der Zwangsarbeiter. Er wusste wie sie gelitten haben in diesen Jahren."
Helmut Dachale, Journalist, über Wilhelm Hamelmann
Helmut Dachale hat sich mit Hamelmanns Hintergrund näher beschäftigt. Über Zeitzeugen recherchierte er, dass Hamelmann der KPD nahestand. Er könnte sogar zeitweise Mitglied der Partei gewesen sein. Hamelmann arbeitete in der NS-Zeit außerdem mit dem Bremer Widerstand zusammen, der auch geflohenen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen half. Dachale sagt: "Er, der später überfallen wurde, dessen Familie ermordet wurde, dieser Mann hatte vorher eine direkte Nähe zu Zwangsarbeitern, wusste um das Schicksal der Zwangsarbeiter, er wusste wie sie gelitten haben in diesen Jahren."
Für Helmut Dachale ist Wilhelm Hamelmann deshalb eine beeindruckende Persönlichkeit. Dachale schaut noch einmal auf das verwilderte Gelände des früheren Hofs Kapelle. 1997 wurde der alte Hof abgerissen, aber nichts weist dort mehr auf die besondere Vergangenheit des Ortes hin. Helmut Dachale nennt das "sehr geschichtslos".
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 20. November 2020, 11:40 Uhr