Die regionale Reportage Was den Feierabendweg in Bremen-Gröpelingen so besonders macht
Standdatum: 12. September 2022.
Mitten in Bremen-Gröpelingen liegt der Feierabendweg. Die kurze und schmale Straße fällt auf: Autos sind dort verboten und ein kleines Einfamilienhaus reiht sich an das nächste. Es ist ein besonderes Flair, das diese Straße umgibt. Die Bewohnerinnen und Bewohner unterstützen sich gegenseitig.
Nicht weit entfernt vom Trubel der Gröpelinger Heerstraße liegt ein kleines Idyll: Der Feierabendweg. Er ist nur 65 Meter lang und verbindet in einem leichten Bogen die Lupinenstraße und die Rostocker Straße. Rechts und links des Weges reihen sich baugleiche Häuser aneinander. Der Feierabendweg besteht aus 22 kleinen Häusern, den "Bremer Klein-Häusern" – mit Erdgeschoss und Dachgeschoss.
Obwohl die Häuser auf den ersten Blick gleich aussehen, haben die Bewohnerinnen und Bewohner über die Jahre ihre eigene Handschrift hinterlassen: alle paar Meter verändert sich Art und Farbe des Gartenzauns und auch die Fassenden wechseln sich in allen möglichen Pastelltönen ab. Zwischen dem Weg und jedem der Häuser liegt ein winziger Vorgarten. Die einen haben Blumen oder Sträucher gepflanzt, andere lagern dort ihre Mülltonnen oder parken ihre Fahrräder. Die Haustüren liegen in Nischen – gerade groß genug, um dort auch eine kleine Bank aufzustellen.
Bremens erste Kleinhaus-Siedlung
Die ersten Bewohner zogen zum 1. Juli 1914 in den Feierabendweg. Die Straße war damals Bremens erste Kleinhaus-Siedlung – auch Gartengang genannt. Das Ganze war eine Art Pilot-Projekt des Gemeinnützigen Bremer Bauvereins, erzählt Karin Pfitzner-Brauer von der Geschichtswerkstatt Gröpelingen. "Man wollte auch für die nicht so gut betuchte Bevölkerung sorgen, dass sie Eigentum bekommen kann. Die Häuser wurden zu einer erschwinglichen Kauf-Miete verkauft", so Pfitzner-Brauer.
Warum sich Karin Pfitzner-Brauer im Feierabendweg so gut auskennt? Sie hat selbst einen Großteil ihres Lebens dort verbracht. Ihre Ur-Großeltern kauften eines der Häuser direkt nach dem Bau und vererbten es erst an ihre Großeltern, dann an ihre Eltern und schließlich an sie. 5400 Mark kostete ein Haus im Jahr 1914. Der Kredit war überschaubar: 27 Mark zahlten die Bewohnerinnen und Bewohner jeden Monat ab. Dafür bekamen sie ebenso überschaubare 55 Quadratmeter, verteilt auf vier Zimmer.
Mittlerweile haben viele der Eigentümerinnen und Eigentümer Wände entfernen lassen, um Räume offener zu gestalten. Lange seien die Häuser aber auch von innen identisch gewesen, erzählt Pfitzner-Brauer. Erst durch einen Zufall habe man irgendwann festgestellt, wie identisch: "Als ein Schlüssel eines Nachbarn auch in alle anderen Schlösser der Straße passte, beschloss man sie auszutauschen – Jahrzehnte nach dem Bau der Häuser."
Ein Zuhause für Arbeiterinnen und Arbeiter
Der Feierabendweg war von Anfang an eine Adresse für Arbeiterinnen und Arbeiter. 1983 zog auch Sigrid Ehrhardt in die Straße. Damals war sie 31 Jahre alt. Die Anzeige für das Haus entdeckte ihr Partner in der Zeitung – ein Fan der Straße sei er schon vorher gewesen, sagt Ehrhardt. "Daraufhin haben wir das Haus für 93.000 Mark gekauft. Damit konnte ich mich als Stenotypistin bei den Stadtwerken auch überhaupt nicht übernehmen. Das war mir wichtig. Ich wollte das alleine wuppen", so Ehrhardt.
Der Feierabendweg hat so was Liebenswertes. Und wer möchte, könnte hier nie einsam werden, auch nicht als alter Mensch. Und das finde ich sehr positiv in dieser heutigen, eher zurückgezogenen, vereinzelten Gesellschaft.
Sigrid Erhardt über das Leben im Feierabendweg
Erhardt wohnt noch heute im Feierabendweg – und will hier nie mehr wegziehen, wie sie betont. Wie Pfitzner-Brauer schwärmt auch sie von dem besonderen Flair, das die Straße umgibt. Schon immer feiere man gemeinsam Feste und unterstütze sich gegenseitig, sagt Ehrhardt. "Der Feierabendweg hat so was Liebenswertes. Und wer möchte, könnte hier nie einsam werden, auch nicht als alter Mensch. Und das finde ich sehr positiv in dieser heutigen, eher zurückgezogenen, vereinzelten Gesellschaft".
Damit ist der Feierabendweg seit mehr als 100 Jahren gelebte Nachbarschaft. Und weil die kleine Siedlung zur Bremer Geschichte gehört, steht die gesamte Straße seit 1973 unter Denkmalschutz. Wer also beispielsweise sein Haus streichen wolle, müsse eigentlich eine Baugenehmigung einholen, sagt Pfitzner-Brauer. Mache aber niemand. Die Nachbarn verraten einen jedenfalls nicht.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 12. September 2022, 10:38 Uhr