Die regionale Reportage Wer rettet das Wikinger-Wandbild in Bremerhaven?
Standdatum: 1. Februar 2022.
Noch steht das alte Bremerhavener Finanzamt an der Columbusstraße, aber es soll schon bald abgerissen werden. Mit ihm verschwindet auch ein kleines, in den Putz gekratztes Wikingerschiff an der Fassade. Eine Bremerhavener Historikerin will es gerne erhalten. Bremen-Zwei-Reporterin Catharina Spethmann hat sie getroffen.
Bei Wikingern denkt man normalerweise an raue Kerle mit gehörnten Helmen, die Küstensiedlungen überfallen, plündern und verwüsten. Das kleine, ockerfarbene Wikingerschiff auf der Wand der abgeschrägten Finanzamt-Ecke wirkt aber eher heiter, wie es so dahingleitet. Möwen begleiten es auf seinem Weg über den zartgelben Putz. Der Drache vorne an seinem Bug scheint sogar fast zu lächeln. Es erinnert stark an das Wikingerschiff aus der Zeichentrickserie "Wickie und die starken Männer" aus den 1970er-Jahren – dabei gab es das Wandbild schon lange vorher: Anfang der 1950er-Jahre kratzte es der Bremerhavener Künstler Alfred Schiebold in den Putz des Baus, der nach dem Krieg die zerbombte Zollverwaltung ersetzte.
Die Wikinger galten als besonders geschickt in der Seefahrt, aber auch beim Handel. Und das konnte natürlich auch für Bremerhaven ein ganz starkes Symbol sein.
Kerstin von Freytag Löringhoff
Schiebold hatte offenbar mehrere Vorschläge für das Wandbild eingereicht, erzählt Kerstin von Freytag Löringhoff. Sie betreibt in Bremerhaven das "Museum der 50er Jahre". Warum die Verantwortlichen sich damals ausgerechnet für das Wikingerschiff entschieden? "Die Wikinger galten ja als besonders geschickt in der Seefahrt, aber auch beim Handel. Und das konnte natürlich auch für eine Stadt wie Bremerhaven ein ganz starkes Symbol sein. Aber so, wie man es jetzt sieht, ist es eigentlich nur das Bild von einer Wikingerszene", sagt Freytag Löringhoff.
Denn etwas fehlt: Früher prangte unter dem Schiff eine Art gemalter Schärpe. Auf ihrer linken Seite war eine Ruine zu sehen, dort stand "zerstört 1944", rechts ein kleiner Kran mit der Unterschrift "aufgebaut 1950". Die Historikerin findet: "Zusammen mit dem Wikingerboot hat das ja eine starke Aussage, nämlich: Die Stadt war unglaublich schnell beim Wiederaufbau, ungefähr so wie die Wikinger. Zählebig und schnell, robust, hat man das alles überlebt.“
Wandbild ist kaum zu retten
Bis mindestens 1969 war die Bildunterschrift, wenn man sie so nennen will, zu sehen, hat Kerstin von Freytag Löringhoff herausgefunden. Dann verschwand sie. Sie wurde nicht abgeschlagen, sondern überputzt. Warum, ist unbekannt. Vielleicht passte sie nicht mehr zum Zeitgeist? Das Wikingerschiff aber blieb – bis jetzt. Demnächst droht es mit seiner Wand unterzugehen. Denn es dürfte schwierig werden, das Sgraffito zu erhalten. Man müsste das gesamte Mauerstück herausnehmen, und dabei würde das Sgraffito wohl zerfallen. Möglich wäre aber ein Gipsabguss oder man könnte das Wandbild als 3D-Grafik speichern.
Die Sgraffiti – von denen es in Bremerhaven noch einige gibt – waren typisch für die Nachkriegszeit, als der Wiederaufbau schnell gehen musste und nicht zu teuer werden durfte. Sie wurden einfach in die feuchten, mehrfarbig übereinander aufgebrachten Putzschichten gekratzt. Kunst am Bau, aber auch künstlerisch wertvoll? "Naja, es geht", gibt Kerstin von Freytag Löringhoff zu. Und trotzdem findet sie: "In Städten, die immer gesichtsloser werden, ist das ein wohltuender Akzent, etwas Persönliches. Eine Zeichnung von einem Menschen – das ist etwas Persönliches."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 31.Januar 2022, 10:40