Die regionale Reportage Das Soldaten-Denkmal auf dem Friedhof in Wulsdorf
Standdatum: 9. November 2020.
Pyramiden vermuten die meisten in Gizeh, Ägypten. Eine steht allerdings auf dem Friedhof Wulsdorf. Sie erinnert an gefallene Soldaten des Ersten Weltkriegs.
Der quadratische Grundriss, die Bauweise in Stufen, die zur Spitze hin zurückweichen: Alles, wie es sich gehört. Anders als die ägyptischen Pyramiden ist die Pyramide auf dem Friedhof Wulsdorf in Bremerhaven aber aus dunkelrotbraunem Klinker. Sie steht unter hohen Bäumen zwischen gelbem Herbstlaub statt in der Wüste – und das seit 1925.
Nicht allen gefiel sie damals, erzählt Esther Lindenau: "Es gibt Leserbriefe, die sich darüber empören, die dies als Termitenhügel bezeichnen, auch einen Artikel, der genau das sagt: Pyramiden gehören in die Wüste und nicht unbedingt auf einen Friedhof. Aber letztlich haben sich die Bremerhavener doch mit diesem Denkmal versöhnt und letztlich hat es doch Anklang gefunden."
Der Erste Weltkrieg mit seinen vielen, vielen Toten, die auf den Schlachtfeldern blieben und keinen Grabplatz hatten, machte es nötig, in den jeweiligen Heimatorten einen Ort zu schaffen, an dem man trauern kann.
Esther Lindenau, Kulturwissenschaftlerin
Esther Lindenau hat sich intensiv mit dem Bauwerk befasst. Als ihre Kinder groß waren, studierte sie noch einmal. Für eine Arbeit über Erinnerungskultur im Fach Kulturwissenschaft schrieb sie über die Pyramide. Deren Geschichte beginnt im Jahr 1914: "Der Erste Weltkrieg mit seinen vielen, vielen Toten, die auf den Schlachtfeldern blieben und keinen Grabplatz hatten, machte es nötig, in den jeweiligen Heimatorten einen Ort zu schaffen, an dem man trauern kann."
Ein Ziegel für jeden gefallenen Soldaten
Seit 1914 gab es in Bremerhaven einen so genannten "Ehrenfriedhof". 1920 entschied man sich, ein Ehrenmal hier auf dem Friedhof Wulsdorf zu bauen. Mehrere Künstler reichten in einem Wettbewerb ihre Entwürfe ein. Die Jury habe sich bewusst gegen ein Denkmal im althergebrachten Stil entschieden, sagt Esther Lindenau: "Es sollte möglichst schlicht, es sollte auch abstrakt sein." Also kein gefallener Krieger mit einem Gewehr in der Hand.
Zunächst waren kurz nach dem Krieg noch Geld und Material knapp, so dass die Pyramide erst 1925 eingeweiht werden konnte. In ihrer Ästhetik erinnert sie ein wenig an die Bauten aus Fritz Langs Film "Metropolis" von1927 – vor allem durch die Krone auf ihrer Spitze. Auch das Material – Klinker – sei bewusst gewählt, vermutet Esther Lindenau. Jeder Ziegel könne für einen gefallenen Soldaten stehen. Das Denkmal an sich bildete dann die Gemeinschaft der Soldaten, die im Krieg starben: "Es gibt keine Klinkerdenkmäler für Einzelpersonen. Die sind immer für Gruppen", so Lindenau.
In den Jahrzehnten danach geriet die Pyramide in Vergessenheit. Wenn Menschen vom Krieg sprachen, meinten sie nun meistens den Zweiten Weltkrieg. Als Esther Lindenau ihre Arbeit schrieb, drohte die Pyramide zu zerfallen. Die Fugen waren durchlässig, die Ziegel bröckelten, oben wuchs ein Baum heraus. Esther Lindenau wandte sich an den Denkmalschutz und fand mit der Marion-Köser-Stiftung aus Lunestedt im Landkreis Cuxhaven eine Geldgeberin für die notwendigsten Arbeiten. Langfristig ist aber wohl eine Grundsanierung fällig.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 9. November 2020, 10:40 Uhr