Die regionale Reportage Was ein uralter Schuh aus dem Aschener Moor über einen Unfall verrät
Standdatum: 20. Juli 2021.
Archäologen haben bei Diepholz einen Schuh gefunden, den das Moor rund 2.000 Jahre konserviert hat. Das ist ein seltener Glücksfall für Ausgräber und Kulturhistoriker.
Wer sich unter dem 2.000 Jahre alten Schuh nun einen "Jesuslatschen" vorstellt, liegt allerdings falsch. Denn die Schumode war damals in Nord-Deutschland deutlich anders als in Palästina – und Jesus war sicher niemals im Landkreis Diepholz unterwegs. Stattdessen ist der Fund in anderer Weise spannend: Man kann ihn als einen 2.000 Jahre alten Unfallbericht betrachten.
Das Moor scheint bis zum Horizont zu reichen. Kleine Teile sind noch so sumpfig, wie man es aus Gruselfilmen kennt: Wer an solchen Stellen vom Weg abkäme, könnte im Morast versinken. Aber ein Großteil der Flächen wird seit Jahren abgetorft. In endlosen Reihen sind Torfsoden aufgeschichtet. Dazwischen allerdings: Ein schmaler Streifen, den die Abbau-Bagger bisher verschont haben. Denn hier sind Archäologen dabei, einen Bohlenweg freizulegen und zu dokumentieren.
Damals waren weite Gebiete von Mooren bedeckt, die Leute konnten sich nicht erreichen. Um miteinander in Kontakt zu treten, hat man Wege gebaut.
Marion Heumüller, Archäologin
In der Eisenzeit, die zwei Jahrtausende zurückliegt, waren solche Wege lebenswichtig, sagt Marion Heumüller vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege: "Damals waren weite Gebiete von Mooren bedeckt, und viele Siedlungsgebiete waren voneinander getrennt, die Leute konnten sich nicht erreichen. Um miteinander in Kontakt zu treten, hat man Wege gebaut."
Der Bohlenweg hier im Aschener Moor ist einer der längsten im Lande: volle vier Kilometer. Lange Stämme in Längsrichtung bilden ein Untergerüst, und quer darauf liegen die Bohlen, die eine durchgehende, wenn auch ziemlich holprige Fahrbahn bilden. Sie ist rund zweieinhalb Meter breit.
30.000 solcher Bohlen wurden hier verbaut. Grabungsleiter Eik Abbentherren weiß dank der Jahrringe der Bäume aufs Jahr genau, wann das war – nämlich im Jahr 46 vor Christus. Zu dieser Zeit verloren Reisende eher selten wichtige Dinge am Wegesrand, denn sie hatten wenig zu verlieren. "Was man hatte, hat man möglichst bei sich behalten und bewahrt", sagt Marion Heumüller. Umso bemerkenswerter ist der Fund.
Zeugnis eines Unfalls
Eine Theorie dazu, wie der Schuh ins Moor kam, hat Heumüller auch. Nicht weit entfernt fanden sie und ihr Team eine gebrochene Achse. "Vermutlich ist der Wagen vom Weg abgekommen oder auseinander gebrochen. Die Achse steckte im Moor. Der Träger des Schuhs versuchte irgendwie, den Wagen da rauszukriegen. Der Schuh blieb vermutlich stecken, der Träger hat seinen Fuß noch rausgekriegt und musste eben barfuß weiterlaufen."
Also: Ein Achsenbruch am Handkarren oder Ochsenkarren durch die Rumpelei auf den Bohlen, und der Pechvogel, der mitten im Moor versucht zu retten, was zu retten ist, verliert dabei auch noch seinen kostbaren Schuh. Da hat wirklich jemand einen ganz schlechten Tag gehabt. Der jemand war übrignes vermutlich ein Mann, Schuhgröße 40 schätzt Marion Heumüller – ein stolzes Maß für damalige Zeiten.
Jeden Torfkrümel vom Schuh entfernen wird demnächst eine speziell geschulte Restaurateurin. Und irgendwann sehen wir den Schuh dann im Museum: Als kulturhistorisches Zeugnis – und als Erinnerung an eine besonders ärgerliche Panne auf einem Bohlenweg im Aschener Moor vor zwei Jahrtausenden.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 19. Juli 2021, 12:40 Uhr