Die regionale Reportage Wie eine 100-jährige Ostfriesin zur Werbefigur wurde
Standdatum: 21. September 2020.
Im Oktober 1803 kommt Jantje Wilms Brinkmann in Ostfriesland zur Welt. Damals ahnt wohl noch niemand, dass sie einmal ein biblisches Alter erreichen und zu einer kleinen Berühmtheit werden würde.
Jantje Wilms Brinkmann hat sechs Geschwister, die Torfschifferfamilie lebt in ärmlichen Verhältnissen in Spetzerfehn, erzählt uns Heinz Saathoff, der sich mit der Geschichte von Jantje Wilms Brinkmann befasst hat. Im Jahr 1834 heiratet sie und zieht zusammen mit ihrem Mann an den Rand des Moores nach Voßbarg, nur wenige Kilometer von ihrem Elternhaus entfernt. Doch die Lebensverhältnisse ändern sich nicht. Das zeigt auch die kleine Moorkate, in der das Paar lebt: Sie besteht aus Torfsoden, Lehm und Schilfrohr und war etwa zehn Schritt lang und vier Schritt breit.
Jantje bekommt sechs Kinder, eines davon verstirbt schon früh. Die Familie lebt vom Torfstechen, Gras mähen und Korn dreschen. Schafe und Hühner liefern Milch, Eier und Fleisch, sagt Heinz Saathoff, der auch mal Ortsvorsteher in Voßbarg war: "Sie hat viel mitgeholfen, indem sie Besen aus der Moorheide oder Bentgras gebunden hat. Die hat sie dann in den Bauerndörfern verkauft. Es gibt auch irgendwo einen Satz, dass der Pastor, der auf dem Pferd seine Leute besucht hat, dann aus dem Klingelbeutel ein bisschen Geld für sie abgegeben hat."
Aus "Jantje" wird "Jantjemöh"
Jantje wird später "Jantjemöh" genannt. Den ehrenvollen Zusatz "Möh" bekommen damals Frauen in Ostfriesland, die ein hohes Alter erreicht haben. Und Jantjemöh wird sehr alt. Sie überlebt ihren Mann, der mit 93 Jahren stirbt. Als sie selbst 100 wird, schickt sogar der Auricher Regierungspräsident ein Telegramm. Später berichten Journalisten über sie. Und es gibt sogar Fotos von ihr. Jantjemöh im schwarzen Sonntagskleid vor ihrer Moorkate oder sitzend mit einem Lachen im Gesicht in ihrem Stuhl. Heinz Saathoff erzählt: "Die sind dann auf Postkarten gedruckt worden (...). Und diese Postkarten sind dann auch in Frankfurt und in Hamburg vertrieben worden. Es war für die Menschen kaum zu erklären, dass jemand so armselig gelebt hat, dann doch so alt geworden ist und trotzdem Freude am Leben hatte."
Willst du hundert Jahre werden, frei von Krankheit und Beschwerden, reich beglückt ins Grab dann sinken, darfst, wie sie, nur Tee du trinken.
Werbespruch einer ostfrisischen Teefirma
Auf den Postkarten steht "Gruß aus Ostfriesland" und dazu ihr Name. Doch ihre neu erlangte Bekanntheit bringt ihr auch im hohen Alter keinen Reichtum ein: "Die hat keinen Pfennig dafür gesehen, da bin fest von überzeugt", so Saathoff. Dafür hat sie viele Nachkommen. Auf einem Foto, das an ihrem 103. Geburtstag entsteht, sitzen und stehen etwa 50 Verwandte um sie herum. Jantjemöh stirbt 1908. Da ist sie 105 Jahre alt.
Lange nach ihrem Tod wird sie noch einmal berühmt. Weil sie auf einer der Postkarten am Tisch bei einer Tasse Tee sitzt und ihr nachgesagt wird, dass sie zu Lebzeiten viel davon trank, macht eine ostfriesische Teefirma in den 1930er Jahren Jantjemöh zur Werbe-Ikone. Die Firma versieht eine der Postkarten mit einem Spruch: "Willst du hundert Jahre werden, frei von Krankheit und Beschwerden, reich beglückt ins Grab dann sinken, darfst, wie sie, nur Tee du trinken."
Und so ist eine arme alte Moorkolonistin aus Voßbarg in Ostfriesland bis heute eine Art Legende und Tee-Denkmal.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 21. September 2020, 10:40 Uhr