Die regionale Reportage Vor 150 Jahren: die erste Polarexpedition des Seglers "Grönland"
Standdatum: 8. November 2021.
Das erste Polarforschungsschiff aus Bremerhaven war ein Segelschiff, die "Grönland". Mit ihr segelten Kapitän Carl Koldewey und seine Mannschaft 1868 als erste deutsche Polarexpedition bis vor die grönländische Küste. Jetzt wird der Polarsegler, der normalerweise im Museumshafen in Bremerhaven liegt, saniert. Bremn-Zwei-Reporterin Catharina Spethmann über die erste Reise der "Grönland" vor gut 150 Jahren.
Die "Grönland" ist mit ihren knapp 26 Metern zwar nicht gerade eine Nußschale, aber damit durch das Eis bis nach Grönland fahren? Carl Koldewey, Kapitän und Astronomiestudent, designierter Expeditionsleiter der ersten deutschen Polarexpedition, hatte 1868 keine Bedenken: "Das Schiff, die Jacht Grönland, war für die Eisfahrt durch folgende Verstärkungen tauglich gemacht: Vom Buge bis hinter den Mast hatte dasselbe eine Haut erhalten, die mit Eisenplatten belegt ist; innen im Schiff sind von vorn bis hinten zwei starke Leibhölzer gelegt. Das Schiff hat einen neuen Mast bekommen und die Takelage ist überall neu bekleidet; ferner sind zwei starke eiserne Pumpen eingesetzt."
Die erste deutsche Nordpolarexpedition war eine Bürgerinitiative im wahrsten Sinne des Wortes.
Reinhard Krause (Alfred-Wegener-Institut) über die Expedition der "Grönland".
Die "Grönland" wurde 1868 als Robbenfänger gebaut. Koldewey kaufte die nordische Jagt direkt von der Werft und kümmerte sich um die Ausstattung des Seglers für seine Expedition. Initiiert hatte das ganze Unternehmen August Petermann, Herausgeber der Monatsschrift "Geographische Mitteilungen". Das nötige Geld kam von polarbegeisterten Spendern. "Das heißt, die erste deutsche Nordpolarexpedition war eine Bürgerinitiative im wahrsten Sinne des Wortes", sagt Reinhard Krause, Wissenschaftshistoriker am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut.
Seekrankheit, Sturm und Packeis
Am 24. Mai 1868 stach Koldewey von Bergen aus in See. Er war Kapitän und gleichzeitig wissenschaftlicher Fahrtleiter. An Bord außerdem: vier deutsche und zwei norwegische Matrosen – und ein holländischer Koch. In seinem Expeditionsbericht lobt Koldewey gerade die geringe Größe des Schiffes – praktisch beim Manövrieren zwischen Eisfeldern. Aber sie bekam zunächst nicht allen Besatzungsmitgliedern. Sie wurden seekrank, schrieb Koldewey: "Selbst Sengstacke, ein so durchwetterter und geschulter Seemann wie nur einer, konnte es öfters nicht unterlassen, recht angelegentlich in das Wasser zu sehen, als wenn er die Geheimnisse der Tiefe gründlich erforschen wollte."
Aber es kam noch viel schlimmer: Der Wind wurde immer heftiger und war am 9. Juni vormittags zu schwerem Sturm angewachsen. Heftige Schneegestöber behinderten die Sicht. "Indeß bemerkten wir, dass das Eis sich mehr und mehr zusammensetzte. Um Mittag sahen wir in südlicher Richtung etwas freieres Wasser, mussten jedoch, um dasselbe zu erreichen, eine Reihe dicht zusammengepackter Schollen mit Gewalt durchbrechen. Es gelang, doch erhielt das Schiff dabei so heftige Stöße, dass die Eisenplatten vorn am Steven losgerissen wurden und sich wie Papier umkrüllten", schrieb Koldewey.
Der Beginn der deutschen Polarforschung
Ihr Ziel – die ostgrönländische Küste – erreichten Koldewey und seine Mannschaft trotz aller Anstrengungen nicht. Zweimal kamen sie bis auf Sichtweite heran, wurden aber vom Eisstrom vor der Küste nach Süden weggetrieben. Trotzdem galt die abenteuerliche Expedition als Erfolg – und als Beginn der deutschen Polarforschung.
Nach Kapitän Koldewey ist die Forschungsstation des Alfred-Wegener-Instituts auf Spitzbergen, in Ny Ålesund, benannt. Und die "Grönland" sieht heute so aus wie 1868. Sie wurde 1973 vom Deutschen Schifffahrtsmuseum gekauft und in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Jetzt wird sie im dänischen Hvide Sande auf einer Holzschiffwerft ein weiteres Mal saniert.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 08. November 2021, 12:38 Uhr.