Die regionale Reportage Warum Lügen in Verden nicht geduldet werden
Standdatum: 1. April 2021.
Im niedersächsischen Verden erinnert ein unauffälliger Stein an eine alte Gerichtsstätte – am Lugenstein wurde seit dem 8. Jahrhundert Recht und Ordnung gesprochen.
Wo heute die Verdener Fußgängerzone beginnt, wurde im Mittelalter für Recht und Ordnung gesorgt. Unweit vom Dom liegt ein Findling, der "Lugenstein" genannt wird, sagt Stadtführer Hanns-Conrad Armbrecht: "Diese Stätte hat man genutzt, um Recht zu sprechen. Es war ein Stein vorhanden, ein Pranger und ein Galgen, um hier Gesetze durchzusetzen."
Lugenstein als zentrale Gerichtsstätte
Das war in der Zeit, als Verden zum Herzogtum Sachsen gehörte. Damals war die Region als "Sturmigau" bekannt. Auf der Suche nach einer Gerichtsstätte fiel die Wahl der Sachsen auf Verden: "Da bot sich hier in Verden der Lugenstein an, weil es der Mittelpunkt des Sturmigau war", erklärt Armbrecht.
Bis zum 8. Jahrhundert beherrschten die Sachsen die Region, dann eroberte Frankenkönig Karl der Große das Gebiet. Unter seiner Herrschaft entstand auch die erste Holzkirche – ein Vorgängerbau des heutigen Verdener Doms. Dieser gotische Bau entstand vom 13. bis zum 15. Jahrhundert. Auch in dieser Zeit blieb der Lugenstein die zentrale Gerichtsstätte – zumindest für einen Teil der Einwohner. Denn: Verden war eine zweigeteilte Stadt mit zwei Namen, erklärt Hanns-Conrad Armbrecht: "Die Norderstadt und Süderstadt, durch eine Mauer getrennt. Auf der einen Seite Handwerker und Kaufleute, auf der anderen Seite die hohe Geistlichkeit. Und die wollten sich nicht reinsprechen lassen in die Gesetzgebung."
Der Dom lag in der Süderstadt, wo kirchliches und damit wesentlich härteres Recht galt. Hier sollen auch zahlreiche Frauen verbrannt worden sein, die als Hexen verurteilt waren. Das nahm erst im 17. Jahrhundert ein Ende, als die Schweden nach dem Dreißigjährige Krieg die Herrschaft übernahm.
Betrüger am Verdener Dom
Vom Verdener Dom schaut eine Figur herab: Als "steinernen Mann" stellt Hanns-Conrad Armbrecht sie vor: Sie soll einen Küster darstellen, der Kirchengelder veruntreut haben soll. Zum Bischof soll dieser gesagt haben: "Der Teufel soll mich holen, wenn ich das gemacht habe." Daraufhin sei der Teufel gekommen, habe ihn gepackt, ein paar Mal um den Dom gezerrt – und dann da oben hängen lassen, sagt Armbrecht.
Tatsächlich ist der steinerne Mann wohl ein Wasserspeier, der bei einem Umbau überflüssig wurde. Aber die Legende hat Eindruck hinterlassen: Noch heute, sagt der Stadtführer, kämen Handwerksgesellen auf der Walz hier vorbei, um den steinernen Mann zu sehen.
Soviel zur Gerechtigkeit im mittelalterlichen Verden. Und heute? Unweit des Kreuzganges des Doms weist der Stadtführer auf mehrere Frauenfiguren aus Stein hin. Allegorien für Glaube, Liebe, Hoffnung, Tapferkeit, Mäßigkeit, Stärke und Gerechtigkeit. Aber: Da sind nicht sieben, sondern sechs Statuen. Fehlt da eine? "Die Justizia, die Gerechtigkeit, ist schon 1905 geklaut worden, und so gibt es seit 1905 keine Gerechtigkeit mehr in Verden", so Armbrecht.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 5. April 2021, 13:40 Uhr