Die Morgenandacht Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
Standdatum: 24. November 2024.
Informationen zum Audio
- Verfügbar bis: 24. November 2026 Informationen zur Verweildauer
"Was weiß ich schon vom Leben?", singt Joni Mitchell in ihrem Lied "Both sides now". Ein Lied, das vom Leben, vom Sterben und auch vom Scheitern erzählt. Und das in einem Buch eine bedeutende Rolle spielt. Katja Hermsmeyer.
"Was weiß ich schon vom Leben?", singt Joni Mitchell in ihrem Lied "Both sides now". Ein Lied, das vom Lieben und Leben, auch vom Scheitern erzählt. Es endet mit der Einsicht, das sich im Leben nicht alles ergründen lässt. "Both sides now" spielt in dem Buch "Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster" von Susann Pásztor eine wichtige Rolle. Es untermalt einen dichten Moment zwischen den beiden Hauptfiguren Karla und Fred. Und gibt indirekt auch Antwort auf eine zentrale Frage, die das Buch aufwirft. Nämlich die Frage danach, was gelungenes Leben ist. Und wer letztendlich darüber entscheidet.
Diese Fragen beginnen sich die Menschen zu stellen, die auf Karla treffen.
Auf die 60-jährige, todkranke Karla, die dennoch vor Leben strotzt. Wir erleben ihre letzten Monate, ihre letzten Wochen, und sind dabei wie Fred, ihr Sterbebegleiter, eines Tages aufsteht, um das Fenster zu öffnen und ihre Seele frei zu lassen.
Ich finde, es ist ein unglaublich starkes Buch, das Susann Pásztor geschrieben hat. Ganz nüchtern spricht es von Reue über vertane Chancen im Leben, von Dingen, die sich nicht mehr ändern lassen, aber eben auch von der Versöhnung damit. Susann Pásztor hat eine klare, ausdrucksstarke Sprache, die nie rührselig wird. Mit einem feinen Gespür, nicht nur für den jeweiligen Charakter ihrer beiden Hauptpersonen Karla und Fred. Auch die Nebenfiguren beschreibt sie präzise und verfolgt, wie sie sich weiterentwickeln. Immer mehr zu sich selbst finden, immer mehr bei sich ankommen. Ein Buch, das – obwohl es vom Sterben und Tod erzählt – nicht todtraurig ist. Im Gegenteil: Es macht Lust auf Leben. Auf das Leben, das sich, wie Joni Mitchell in ihrem Lied singt, manchmal eben wie eine Seifenblase anfühlt. Wo man auch an Illusionen hängen bleibt, wo man sich verabschieden muss.
Es gibt diese zwei Seiten – das Glück und die Enttäuschung, das Finden und das Loslassen, die "ups and downs", das Gelingen und das Scheitern. "both sides now". Das Leben ist ein Wagnis, an dem man scheitern kann und scheitern darf. Der Theologe Henning Luther spricht von den "Fragmenten", aus denen unser Leben besteht. Viele kleine Stücke, die unsere Lebensbrüche und Risse widerspiegeln. Die untrennbar zum Leben dazugehören. Und doch in ihrer Verkettung das Leben gerade erst ausmachen, es zu meinem eigenen Leben machen.
Die Fragmente des eigenen Lebens annehmen, sich der eigenen Endlichkeit stellen, das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Ein Segen, ein Geschenk, wer sich dabei angenommen fühlt, wer sich begleitet und getragen weiß – auch von Gott.