Lieblingsmensch Lesepatin Gisela Pertl hilft Kindern in Bremen Oslebshausen beim Lesen
Standdatum: 21. Juli 2023.
Kinder fürs Lesen zu begeistern und sie zu fördern, das ist die Idee der „Lesezeit“. Das Projekt der Freiwilligenagentur vermittelt ehrenamtliche Lesehelfer an Grundschulen. Gisela Pertl ist eine der Lesepaten. Sie engagiert sich schon lange in dem Projekt und ist deshalb in diesem Monat unser Lieblingsmensch.
Drei Viertklässlerinnen sitzen an einem Tisch vor ihren Büchern. In ihrer Grundschule in Bremen Oslebshausen ist heute Lesepatin Gisela Pertl zu Besuch. „Als ich aus der Schule kam, hab ich zu Hause Mittag gegessen, danach hab ich im Garten geschaukelt“, liest die 10-jährige Medina. Gisela Pertl hört geduldig zu und gibt am Ende ein paar Tipps zum Lesen. Medina gehört zu den guten Lesern der Schule. „Das läuft manchmal ein bisschen anders. Dann sitzt man mit einem Kind zusammen, und die Arbeit ist dann doch sehr viel intensiver, weil man korrigiert, verbessert, wieder nachlesen lässt“, erzählt Gisela Pertl.
Jede Woche kommt die Wahl-Bremerin in die Schule und liest mit einzelnen Kindern. Das macht sie seit neun Jahren und ehrenamtlich, so wie auch die vielen anderen Lesepaten der Bremer Freiwilligenagentur.
Seit einigen Jahren ist sie im Ruhestand. In ihren ersten Jahren als Lesehelferin hat sie noch gearbeitet, und durch ihren Beruf kam sie auch dazu sich zu engagieren. Denn: Sie war lange Jahre selbständig und hat in ihrem Betrieb auch ausgebildet. „Ich war im Prüfungsausschuss der Handelskammer und habe, wenn wir die Prüfungsaufgaben bekamen, immer festgestellt: Die Rechtschreibung war katastrophal.“
„Wir kriegen gar keine Auszubildenden mehr, die ordentliche Rechtschreibung haben, die ordentliches Textverständnis haben.“
Gisela Pertl über ihre Erfahrung als Prüferin
Gisela Pertl fragte sich schon damals, woran das liegt und wollte etwas ändern. “Und irgendwann kam der Zeitpunkt bei uns im Betrieb, an dem ich feststellte: Wir kriegen gar keine Auszubildenden mehr, die ordentliche Rechtschreibung, die ordentliches Textverständnis haben.“ Sie hat dann überlegt, was man tun kann. „18-, 19-, 20-Jährige können Sie nicht mehr in Rechtschreibkurse geben. Es ist einfach zu spät“, erzählt Gisela.
Lesen als wichtiger Grundstein der Bildung
Also entschloss sie sich, früher anzusetzen und meldete sich bei der Bremer Freiwilligenagentur. Seitdem liest sie mit den Kindern in der Grundschule in Oslebshausen, korrigiert, verbessert und nimmt sich Zeit. „Also ich finde sowieso, dass Lesen ein ganz wichtiger Grundstein unserer Bildung ist, einfach auch für die Teilhabe überhaupt an der Gesellschaft“, sagt sie. Es gehe dabei nicht nur darum, Buchstaben aneinanderzureihen, sondern auch darum, den Text zu verstehen. „Wenn die Kinder einen Text nicht verstehen, wie sollen die im Mathematikunterricht zum Beispiel ihre Textaufgabe verstehen?“, sagt Gisela Pertl.
„Die Kinder lesen nicht zu Hause, die lesen nur in der Schule.“
Lesepatin Gisela Pertl über die Lesegewohnheiten
Und dass es da hapert, das erlebe sie oft bei ihrer Arbeit. „Was mich dann manchmal wundert ist, wenn ich die Kinder frage, dass die mir sagen, sie haben gar kein eigenes Buch zu Hause. Ich finde das schon fast unvorstellbar, überhaupt kein Buch zu Hause zu haben“, erzählt sie. Und selbst die Kinder, die Bücher zuhause haben, lesen aus ihrer Sicht tortzdem oft nur in der Schule und nicht zuhause.
Lesen fördert die Fantasie
Die Lesepaten versuchen, den Kindern dann ein bisschen gemeinsame „Lesezeit“ zu schenken. „Mir wurde noch nie vorgelesen“, erzählt die 9-jährige Kanita, die an diesem Vormittag mit Gisela Pertl gemeinsam liest. Das hört die Lesepatin öfter, wenn sie die Kinder danach fragt. „Ich finde das so schade, wenn Kinder keine Geschichten erfahren haben. Und das merkt man tatsächlich bei Kindern, die keine Erfahrungen über Bücher haben“, sagt sie. „Die haben keine Fantasie, das muss man lernen. Und ich finde Kinder ohne Fantasie sind eine ganz traurige Angelegenheit.“
Für viele Kinder sei auch die Aufmerksamkeit, die sie in der Lesezeit mit einem Erwachsenen haben, besonders. Sie können dann erzählen, wenn ihnen der Schuh drückt oder wenn sie besonders müde sind. „Wenn ich merke, die Kinder haben gar nicht so die rechte Lust zum Lesen, dann rede ich einfach nur mit ihnen. Und dann gehen sie hier raus und haben halt nicht gelesen. Aber sie gehen fröhlich raus, und das ist auch für mich eine wichtige Sache“, erzählt sie.
Die drei Schülerinnen, Medina, Kanita und Annalena, haben an diesem Vormittag viel Freude beim Lesen, besonders bei einer Dialoggeschichte mit verteilten Rollen. „Kann ich Herrn Brandt spielen?“, ruft Annalena begeistert. Gisela Pertl verteilt geduldig die Rollen und knobelt dann noch gemeinsam mit den Schülerinnen an Rätselfragen.
„Ich lese eigentlich nicht so viel, aber wenn dann ruhig und viel, wenn mein Handy keinen Akku mehr hat.“
Schülerin Kanita übers Lesen
Die drei Viertklässlerinnen lesen auch zu Hause, aber nicht oft. „Ich les eigentlich nicht so viel, aber wenn ich schon lese, dann ruhig und viel. Wenn mein Handy zum Beispiel keinen Akku mehr hat“, sagt Kanita. Die Zeit mit ihrer Lesepatin, außerhalb des Unterrichts und in ruhiger Atmosphäre, genießt sie. „Wenn man in der Klasse liest, dann sind die anderen immer ganz laut, und dann kann man sich nicht konzentrieren“, erzählt Annalena.
Ihre Klassenkameradin Medina geht auch gern in die „Lesezeit“: „Frau Pertl hilft uns auch, wenn wir etwas nicht verstanden haben. Und sie ist nett." Wenn nach den Sommerferien eine neue erste Klasse startet, dann begleitet Gisela Pertl auch diese Kinder wieder. „Das macht so viel Freude mit den Kindern. Und es ist so eine Herzlichkeit, die immer wieder stattfindet. Und es ist so eine wichtige Aufgabe, den Kindern gerade in dem schulischen Bereich zur Seite zu stehen.“
Dieses Thema im Programm: 22. Juli 2023, 13:40 Uhr