Im Porträt Wie Fotograf Clarence Klingebeil es in New York ins MET geschafft hat
Standdatum: 18. Dezember 2024.
Viel Haut, Tattoos auf dem ganzen Körper und das Skatebord unter dem Arm: Fotograf Clarence Klingebeil wurde er durch seine kontrastreichen Schwarz-Weiß-Porträts von Skatern bekannt. Der gebürtige Berliner lebt und arbeitet in New York, hat für große Designer gemodelt und schwere Zeiten durchgemacht. Nach einer Krebserkrankung, einem Herzstillstand und einer Arm-Amputation fotografiert er heute einarmig mit der linken Hand.
Geboren wird Clarence Klingebeil 1961 in eine ganz normale Arbeiterfamilie in Berlin-Wilmersdorf. Sein biologischer Vater, ein amerikanischer Offizier, verlässt die Familie noch vor seiner Geburt. Seine Mutter heiratet wieder als er sechs Jahre alt ist. In der Schule gilt Clarence als schnell abgelenkt und unkonzentriert. Heute würde man die Diagnose ADHS stellen, ist er sich sicher. Er probiert viel aus, will Grafiker werden, bricht die Schule aber ab, lebt von kleinen Jobs in Plattenläden, als Filmvorführer oder Tellerwäscher.
Ich war eher so das ausgemergelte Club-Kid.
Clarence Klingebeil über seine Model-Karriere
Im Sommer 1983 fliegt Clarence Klingebeil nach New York, um Freunde zu besuchen. Auf einer Party wird er angesprochen und als Model entdeckt. Seine erste große Reise, die sein Leben verändern wird. Mit einem Modelvertrag kehrt er zurück nach Europa. Modelt für Top-Marken wie Dior, Jean Paul Gaultier, Yves Saint Laurent, Kenzo: "Ich stach da sehr raus, weil zu diesem Zeitpunkt waren die männlichen Models alle so Surfer Boys aus Kalifornien. Sehr gebräunt und muskulös und ich war eher so das ausgemergelte Club-Kid."
Seitenwechsel hinter die Kamera
Durch einen Zufall wechselt er die Seiten. Von "vor der Kamera" zu dahinter – und somit auch die Perspektive. Er wird selbstständig, fotografiert große Fashionkampagnen und macht regelmäßig Serien für Hochglanzmagazine. Später versucht er, als Promi-Fotograf Karriere zu machen. Er portraitiert Stars wie die amerikanische Schauspielerin Andie McDowell oder auch die Britin Charlotte Rampling. In die, sagt er, war er schon als Teenager verknallt. Dieses Shooting ist ihm deshalb ganz besonders im Gedächtnis geblieben.
Erst der Zungenkrebs, dann der Herzstillstand
In dieser Zeit lernt er auch seine mittlerweile Ex-Frau Tamara kennen. Klingebeil zieht nach New York. Sie bekommen eine gemeinsame Tochter, Tallulah. Zu beiden hat er ein sehr enges und auch vertrautes Verhältnis. Beide unterstützen ihn in der schwersten Zeit seines Lebens. Mit 57 bekommt Klingebeil die Diagnose Zungenkrebs. Er muss zur Chemotherapie und bekommt Bestrahlung. Er hat Glück und wird erfolgreich behandelt in einer der besten Kliniken New Yorks. Auch Schauspieler Michael Douglas war dort – zwei Jahre vor ihm – mit derselben Diagnose.
Für die Ärzte war ich nur der 'Miracle Man'. Keiner hat geglaubt, dass ich es schaffe.
Clarence Klingebeil über seinen Herzstillstand
Noch im selben Jahr erleidet er durch ein Blutgerinnsel einen Herzstillstand, liegt tagelang im Koma und verliert so seinen rechten Arm. Sein Mitbewohner rettet ihm das Leben, als er in der gemeinsamen Küche zusammensackt. Über 40 Minuten kämpft er um sein Leben, muss mehrfach reanimiert werden. Die Ärzte machen seiner Familie wenig Hoffnung, dass er durchkommt und wieder der Alte wird. Er schafft es wie durch ein Wunder und kämpft sich zurück ins Leben: "Für die Ärzte war ich nur der 'Miracle Man'. Keiner hat geglaubt, dass ich es schaffe." Eine prägende Zeit, die ihn scheinbar stärker macht.
Ich halte die Kamera anders als man sollte. Mit links, am Batteriegriff. Aber es geht.
So erklärt Clarence Klingebeil seine Technik mit der linken Hand.
Seit mehr als 30 Jahren lebt und arbeitet Clarence Klingebeil nun in Brooklyn, New York City. Dort arbeitet er – einarmig und seit dem Herzstillstand mit Links – als selbständiger Fotograf und als "One-Man-Show", wie er sich selbst bezeichnet, an seinen ausdrucksstarken, kontrastreichen Schwarzweiß-Portraits: "Ich halte die Kamera anders als man sollte. Mit links, am Batteriegriff. Aber es geht. Man fokussiert mit dem Daumen und drückt ab mit dem Zeigefinger. Wenn man es schaffen will, schafft man es auch."
Seine "Skate Homies" findet er in öffentlichen Parks
Seine Motive findet er auf der Straße, bei Konzerten, in öffentlichen Skateparks. Bei acht von 10 Menschen, die er anspricht, ob er sie fotografieren darf, hat er in der Regel Glück. Seine Arbeiten in den Büchern und auf seinen Socialmedia-Kanälen sprechen mittlerweile für sich. Sogar Skate-Legende Tony Hawk hat er für seine Reihe "Skate homies" schon verewigt: "Ich hab mich immer schon interessiert für Außenseiter und Subkulturen. Es wird nie langweilig. Traumcasting jedes Mal!"
Das ist der Moment. Genau dann schlage ich zu.
Clarence Klingebeil über das Fotografieren seiner "Skate Homies"
Klingebeil interessiert der Blick hinter die Pose, hinter die Fassade. Egal ob Skater, die mit der Teufelskralle aufs Bild wollen oder Anhänger der Hardcore-Szene, die stolz ihre Ganzkörper-Tattoos, die etlichen Piercings und viel nackte Haut zeigen – alle haben eins gemeinsam, sobald ihnen beim Shooting die Puste beim Posen ausgeht, dann zeigen sie Verletzlichkeit, Ehrliches, Ungeschöntes. Genau das interessiert Clarence Klingebeil: "Das ist der Moment. Genau dann schlage ich zu."
Bis ins Metropolitan Museum of Art
Einer seiner "Skate Homies" – das schwarzweiße Porträt des rauchenden Kais, der sich mit freiem, tätowierten Oberkörper und Skatboard in der Hand zeigt – hat es sogar ins berühmte MET geschafft, das Metropolitan Museum of Art in New York. Immerhin das größte Kunstmuseum der USA mit mehr als zwei Millionen Werken. Als Angestellter im Security-Team des Museums durfte er eins seiner Werke im Herbst in einer Gemeinschaftsausstellung präsentieren. Etliche seiner Models und Fans haben ihn dort besucht und vor Ort Selfies gemacht. Er hängt nach der Gruppenausstellung nun auch dauerhaft im MET und ist damit Teil des Museums. Nicht nur als Angestellter, sondern eben auch als Künstler.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 18. Dezember 2024, 18:05 Uhr