Im Porträt Eva Lindner über das stumme Leiden nach einer Fehlgeburt
Standdatum: 12. März 2024.
Eva Lindner hat ihr Baby verloren. Sie war in der 16. Woche schwanger, als sie plötzlich eine Fehlgeburt erlebt hat. Vor allem in den ersten 12 Wochen leiden Frauen meist stumm und alleine, wenn sie ihr Baby verlieren, sagt sie.
Die ersten Wochen einer Schwangerschaft sind unsichere Zeiten. Ob ein Embryo wirklich zu einem Baby heranwächst, weiß man oft erst einige Wochen später. Allgemein spricht man von drei Monaten bis die Sicherheit so groß ist, dass man Familie und Freunde am Babyglück teilhaben lässt. "Eine Schwangerschaft, die zu einem gesunden Kind führt, ist eine Erfolgsgeschichte, eine Schwangerschaft bei der am Ende kein gesundes Kind herauskommt gilt als Misserfolg, als Scheitern", weiß auch Eva Lindner.
Stumme Trauer in den ersten 12 Wochen
Die 41-Jährige ist in München aufgewachsen, hat Theater und Medienwissenschaften, Germanistik und Kunstgeschichte studiert. Weil es hierzulande üblich ist, in den ersten 12 Wochen eine Schwangerschaft zu verschweigen, stehen Frauen oft ziemlich einsam da, wenn sie eine Fehlgeburt erleben. Dabei können Freunde und Familie unterstützen, so Lindner: "Wenn man gemeinsam traurig sein darf und nicht zwei Nachrichten überbringen muss – nämlich: 'Ich war schwanger und nun habe ich das Kind verloren' – dann ist es schon sehr viel einfacher."
Ich stand in Schmerzen, Blut und Wehen im Badezimmer.
Eva Lindner über den Moment, als sie ihr Baby verlor
Dass die 12-Wochen-Regel nur eine trügerische Sicherheit schafft, hat Eva Lindner am eigenen Leib erfahren. Sie verlor ihr Kind noch viel später – in der 16. Woche: "Ich dachte ja genauso. Nach den 12 Wochen bin ich aus dem Gröbsten raus. Und jetzt geht alles gut." Doch im Schlaf platzte ihre Fruchtblase und Eva Lindner, die bereits ein älteres Kind hatte, wusste sofort, was los war. "Ich war total neben mir. Ich stand in Schmerzen, Blut und Wehen im Badezimmer und habe wie viele, die ein traumatisches Erlebnis hatten, mich wie von außen beobachtet."
Mehr Zeit und mehr Beratung
Mit dem Krankenwagen ging es in die Klinik. Dort merkte sie in aller Brutalität: Für das Klinikpersonal ist ihre Fehlgeburt etwas ganz Normales. Für sie aber der schlimmste Moment in ihrem Leben. Vorbereiten auf so etwas kann man sich wohl kaum, sagt Lindner. Trotzdem sagt sie, sie hätte sich mehr Empathie vom Klinikpersonal gewünscht und gerne mehr über die Normalität einer Fehlgeburt gewusst.
Da gibt es eine riesen Wissens- und Aufklärungslücke.
Eva Lindner über die Optionen, eine Fehlgeburt zu beenden
Nicht immer ist diese übrigens wie bei Eva Lindner ein medizinischer Notfall. Neben der sogenannten operationellen Ausschabung besteht in der Regel auch die Möglichkeit, die natürliche Tot-Geburt abzuwarten oder mit Medikamenten Wehen einzuleiten. Doch für das Gesundheitssystem ist eine Operation praktischer, weil zeitlich unaufwändiger, planbar – und lukrativer. Denn die Beratungszeit, die es dafür brauche, die werde nicht bezahlt, so Lindner. "Da gibt es eine riesen Wissens- und Aufklärungslücke. Viele würden sich vielleicht gegen diese invasive Methode entscheiden, wenn sie wüssten, dass sie auch andere Optionen haben. Das ist einer der großen Missstände."
Wenn man nicht zur Tagesordnung zurück kann
Eva Lindner erlebte nach ihrer Fehlgeburt einen Gefühlssturm: Sie war wütend auf den eigenen Körper, der es nicht geschafft hatte, sie war verzweifelt und enttäuscht. Außerdem spürte sie Leere und Einsamkeit und eine große Sehnsucht nach einem lebenden Kind. "Wenn das Tabu darüber in unserer Gesellschaft nicht so groß wäre, hätte ich vielleicht selbst danach besser Worte dafür finden können, was mir passiert ist oder wie es mir geht." Wochenlang hing sie in dieser Gefühlsschleife fest, fühlte sich falsch und unnormal: "Weil mir eigentlich von außen suggeriert wurde: 'Naja, das muss ja jetzt auch wieder okay sein nach ein paar Wochen.'"
Wir wollen den Schmerz gerne wegmachen, wegreden und davon ablenken.
Eva Lindner über den gesellschaftlichen Umgang mit Fehlgeburten
Relativ schnell spürte Lindner den Impuls, sich das Erlebte von der Seele zu schreiben. Für ihr Buch "Mutter ohne Kind" hat sie mit Hebammen und Ärztinnen gesprochen, über Schuldgefühle und Mythen rund um das Thema Fehlgeburt geschrieben. "Ich hatte immer die Hoffnung, dass andere, die das erleben, sich gesehen fühlen. Sich vielleicht spiegeln können in meiner Geschichte." Und die Resonanz gab ihr Recht. Viele Frauen, die ihr heute schreiben, erzählen von ihrer Scham, ihren Schuldgefühlen und dem Schmerz, den niemand aus ihrem Umfeld nachempfinden kann. Eva Lindner hat daraus vor allem einen Schluss gezogen: Die Gesellschaft müsse lernen, den Schmerz gemeinsam mit den betroffenen Frauen auszuhalten. Und das über Wochen oder Monate: "Darin sind wir nicht so gut. Wir wollen Schmerz gerne wegmachen, wegreden und davon ablenken." Dasein, unterstützen und immer wieder nachfragen – das wünscht sich Eva Lindner für Frauen, die ihr Kind verlieren.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 12. März 2024, 18:05 Uhr