Im Porträt Familienleben mit Autismus: Heike Klüsener erzählt aus ihrem Alltag
Standdatum: 4. Juni 2024.
Der Alltag von Heike Klüsener und ihrem Mann Jens ist kräftezehrend. Ihr beiden Söhne haben eine Autismus-Spektrum-Störung und schon kleinste Aufgaben können zur großen Herausforderung werden. Für die Schule müssen immer wieder Lösungen gefunden werden und daneben dürfen ihre Jobs und die Beziehung nicht leiden.
Eigentlich ist Heike Klüsener sehr glücklich. Mit ihrem Mann Jens Klüsener und ihren Söhnen Henry und Ben lebt sie in einem schönen Haus mit Garten in Brettorf, im niedersächsischen Landkreis Oldenburg. Was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist: Heike Klüseners Söhne leiden beide unter einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS).
Schon mit dem T-Shirt am Morgen geht es los
Viele Eltern wissen, dass der Alltag mit zwei schulpflichtigen Kindern im Grundschulalter anstrengend und herausfordernd sein kann. Heike Klüsener benötigt jedoch jeden Morgen eine extra Portion Geduld. Selbst das Anziehen läuft selten reibungslos ab. Während Ben sich drei Mal umzieht und besonders lange braucht, geht es bei Henry oft viel zu schnell: "Den Henry muss ich erst mal neu anziehen. Das T-Shirt richtig rum, das ist jedes Mal falsch rum. Er kann das mit den Temperaturen sehr schlecht einschätzen. Wenn es kalt ist, zieht er trotzdem eine kurze Hose an. Es ist ja Sommer und im Sommer zieht man kurze Hosen an."
Mama, da ist ein Mann in meinem Kopf, der beißt mir in mein Fleisch.
Henrys erste Worte, als er versuchte seine Gedanken zu beschreiben
Schon sehr früh merkten die Klüseners, dass ihr Sohn Henry anders ist als die anderen Kinder. Als Baby weinte er viel, war sehr anhänglich, schien schnell überfordert zu sein. Im Kindergartenalter stellten sich erste Ticks ein. Und: Henry war anderen Kindern gegenüber sehr aggressiv. Als Henry drei Jahre alt war, sagte er seiner Mutter: "Mama, da ist ein Mann in meinem Kopf, der beißt mir in mein Fleisch und sagt, dass ich das machen soll." Ein Kinderarzt riet der Familie, einen Kinderpsychologen aufzusuchen, dieser stellt fest: Henry hat eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS).
Die Diagnose bringt Erleichterung
Lange hat Heike Klüsener an sich gezweifelt, hat sich gefragt, warum sie solche Schwierigkeiten mit ihrem Sohn Henry hat. Henrys kleiner Bruder Ben dagegen war ein sehr ruhiges Baby, er konnte sich gut allein beschäftigen und mit ihm, sagt Heike Klüsener, hätte sie als Baby eine Weltreise gewagt. Erst im Kindergarten fiel auf, dass Ben Ansprachen nicht mitbekommt und sich sehr abgekapselt. Ein Kind, das scheinbar nicht zuhört, es dabei aber nie böse meint. Auch Ben hat ASS, bei ihm wird zusätzlich ADHS diagnostiziert. Für Heike Klüsener war die Diagnose eine Befreiung. Die Diagnose brachte nicht nur Klarheit, sie ermöglichte erst den richtigen Umgang mit den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder.
Es waren im Prinzip Hilfeschreie von ihm.
Heike Klüsener über die Schwierigkeiten ihres Sohnes Ben in der Schule
Zurzeit besuchen Henry und Ben noch die Neerstedter Grundschule, obwohl Ben zwischenzeitlich als "unbeschulbar" galt. "Das war ganz schlimm, weil man sich das natürlich für sein Kind nicht wünscht", erinnert sich Klüsener an den Anruf der Schule. "Es waren im Prinzip Hilfeschreie von ihm und das tat mir unendlich weh und leid für ihn." Zusammen mit Schule, Behörde und Ärzten hat man schließlich eine Lösung gefunden. "Durch Schulbegleitung und eine Zeit lang Medikamente hat er in der Schule seine Struktur gefunden und auch seinen Platz in der Klassengemeinschaft", so Klüsener.
Auch die Kinder merken, dass sie anders sind
Henry wird im kommenden Schuljahr eine weiterführende Schule besuchen. Für Heike Klüsener ist es wichtig, dass ihre Kinder eine gewisse Normalität im Alltag erleben. Auch wenn es schwierige Momente gibt. Wenn Ben sich zum Beispiel für einen Besuch zwei Stunden zusammenreißt, kann es sein, dass er danach zuhause völlig ausrastet. Und sich danach weinend fragt, warum er so ist, wie er ist. "Dabei kann ich ihm leider nicht helfen, das kann ich ihm nicht abnehmen. Ich kann ihn dabei nur begleiten und ihn unterstützen."
Wunsch nach mehr Offenheit und Verständnis
Auch wenn es sehr anstrengend ist, für Heike Klüsener ist ihre Familie das größte Glück. Die zweifache Mutter arbeitet in Teilzeit und engagiert sich in der Aufklärungsarbeit rund um das Thema Autismus-Spektrum-Störung. Ihre Geschichte hat sie auch für die Radio-Bremen-Dokumentation "Echtes Leben – Familienleben mit Autismus" erzählt: "Je mehr die Leute darüber wissen, und auch wirklich sehen oder hören, wie es bei uns ist, umso größer ist auch das Verständnis – nicht nur für unsere Familie."
Es wird immer so viel über Diversity gesprochen, aber es wird wenig darüber gesprochen, dass jeder so sein darf wie er ist.
Heike Klüsener wünscht sich mehr Akzeptanz für autistische Menschen in der Gesellschaft
Manchmal fragt sie sich, ob ihre Kinder jemals Partnerschaften eingehen oder selbst eine Familie gründen wollen. Sie würde sich wünschen, dass die Gesellschaft offener wird und die Kinder so annehmen können, wie die Familie es tut. "Es wird immer so viel über Diversity gesprochen, jeder darf sich anziehen wie er will und jeder darf so aussehen wie er will, aber es wird wenig darüber gesprochen, dass jeder so sein darf wie er (oder sie) eben ist."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 4. Juni 2024, 18:05 Uhr