Im Porträt Jessy und Heike Pohler akzeptieren das Sterben
Standdatum: 3. Mai 2024.
Heike Pohler ist todkrank. Sie hat Krebs und gilt als austherapiert. Tochter Jessy Pohler weiß, dass ihre Mutter irgendwann wie ihr Vater sterben wird. Er ist vor fünf Monaten bereits an Krebs gestorben.
Krebs ist eine Familienkrankheit. Nicht nur für die erkrankten Personen ist es die Hölle, sondern auch für die Angehörigen. Reicht es da nicht, wenn ein Familienmitglied Krebs hat? Heike Pohler hat nie eine Antwort auf diese Frage gefunden. Im Dezember 2020 hat sie ihre Diagnose bekommen: Krebs, unheilbar. Wenige Monate später bekam ihr Mann Ralf die gleiche Nachricht.
Ich beschäftige mich jeden Tag ein bisschen mehr mit dem Lebensende.
Heike Pohler, wenn sie an ihre Zukunft denkt
Es ist die Geschichte einer Dortmunder Familie, die man sich nicht vorstellen kann. "Ich glaube, bis heute habe ich nicht verstanden, was da passiert ist", sagt die Tochter, Jessy Pohler. "Das beschäftigt mich, wenn ich abends ins Bett gehe und das beschäftigt mich, wenn ich morgens aufstehe." Jessy Pohler ist 29 Jahre alt und selbstständig, sie berät Firmen beim Umgang mit Social Media. Von einem Tag auf den anderen hat sich ihr Leben und das ihrer Eltern auf den Kopf gestellt. Heike Pohler beschreibt es wie einen Schalter, den jemand umlegt. "Ich beschäftige mich jeden Tag ein bisschen mehr mit dem Lebensende", sagt sie. "Jeden Tag, wo ich weiß, dass mir die Zeit davonläuft."
Die Zeit wird kostbar
Nur wie lebt man mit dem Wissen, dass die gemeinsame Zeit bald für immer vorbei ist? Das Leben werde intensiver, bestätigen beide. Es gibt keine Bucket-List, die noch abgehakt werden soll, sondern "Alltagsträume" wie Heike sie nennt: eine Fahrradtour, zusammen ein Eis essen, im Möbelhaus herumgucken. "Mir geht's darum, mir morgens vorzunehmen: 'Mach was Heike! Bloß nicht den Tag verschenken, zieh dich an, geh los.'"
Man darf niemanden in seiner Trauerarbeit kritisieren.
Jessy Pohler über die Vielfalt, mit der Menschen trauern
Gleichzeitig sind da die Arztbesuche, die Chemotherapie, die Anträge bei der Krankenkasse. "Es ist wie ein Vollzeitjob", sagt Jessy Pohler. Die 29-Jährige wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für die Themen Krankheit und Tod – in der Familie, aber auch in der Öffentlichkeit. Deshalb spricht sie auf ihrem Instagram-Kanal über die Situation der Familie, selbst über persönliche Erfahrungen wie die Seebestattung ihres Vaters, der vor knapp einem halben Jahr verstorben ist. Dafür bekommt sie Zuspruch im Netz, aber auch Kritik. Der entgegnet Jessy Pohler: "Das kann für manche Menschen zu viel sein, aber jeder trauert für sich und jeder trauert anders und man darf niemanden in seiner Trauerarbeit kritisieren."
Den Tod nicht das Zepter übernehmen lassen
Der Tod dürfe kein Tabuthema mehr sein. Mit ihrer Mutter Heike spricht sie ständig über den richtigen Umgang, zum Beispiel ob es in Ordnung ist, mit ihrem Verlobten in den Urlaub zu fahren. "Natürlich", sagt Heike Pohler, weil sie findet, dass es überhaupt nichts bringen würde, den Krebs in den Mittelpunkt ihres Lebens zu rücken, und dafür alles andere zu vernachlässigen. "Das Damoklesschwert schwebt immer über einem", sagt Heike Pohler, aber auch wenn die Krankheit und das Lebensende jeden Tag präsent sind, ist die Welt der Dortmunder Familie auch immer noch häufig unbeschwert.
Das reicht für den Rest meines Lebens jetzt!
Heike Pohler über die gemeinsamen Erinnerungen, die sie jetzt mit Tochter Jessy schafft
Das klingt kaum vorstellbar bei der berührenden Geschichte, aber wenn Heike und Jessy Pohler vom Familienurlaub auf Fuerteventura erzählen, oder den nächsten Nachmittag im Möbelhaus planen, rückt der Krebs in den Hintergrund. Vor zwei unheilbaren Krebserkrankungen mache der Alltag trotzdem nicht halt, und der biete neben einer "grauen Wolke", wie Jessy Pohler sagt, auch immer noch sonnige Momente. Auch das ist beiden wichtig zu betonen – Mitleid sei unangebracht, stattdessen leben Heike und Jessy Pohler einen offenen, manchmal auch humorvollen und vor allen Dingen ehrlichen und persönlichen Umgang. "Es geht einfach darum, dass man zusammen etwas macht, wo man solche Erinnerungen zurückbehält, dass man sagt: Das reicht für den Rest meines Lebens jetzt!"
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 3. Mai 2024, 18:05 Uhr