Im Porträt Elin Schirmer pflegt ein verlassenes Grab und erinnert an Vergangenes
Standdatum: 22. September 2023.
Auf dem Jüdischen Friedhof in Hastedt gibt es 800 Gräber, um die sich niemand kümmert. Deswegen setzt der Friedhofsverwalter auf ehrenamtliche Paten. Die achtjährige Molly und ihre Mutter Elin Schirmer pflegen seit einem Jahr dort ein Grab.
Die Bremerin Elin Schirmer geht mit ihrer Tochter Molly jeden Dienstag zu einem der Gräber auf dem jüdischen Friedhof in Hastedt und pflegt es. Die beiden sind gern auf Friedhöfen. "Hier finden wir es richtig schön, da wo diese ganz alten Grabsteine stehen", sagt Elin Schirmer und zeigt auf eine Ecke neben der Kapelle, in der verwitterte graue Grabsteine auf einer schlichten grünen Wiese stehen. "Ich hatte schon als Kind keine Angst vor Friedhöfen, bin auch nachts als Abkürzung drüber gegangen und meine Freunde haben immer gesagt, findest du das nicht gruselig? Und ich hab' immer gesagt, da sitzt doch keiner nachts und wartet", erzählt die 49-Jährige. Auch ihre Tochter Molly hat keine Angst vor dem Friedhof: "Ich mags auch gern, dass es so ruhig ist und wenn alles so friedlich ist", sagt die Achtjährige.
Alle Familien wurden einfach mitgenommen und umgebracht. Deshalb sind viele Generationen, die hier beerdigt sind, ohne Verwandte geblieben.
Friedhofsverwalter Alexander Tulmann
Die beiden wohnen in der Nähe des Friedhofs. Durch einen Aushang wurden sie darauf aufmerksam, dass die Gemeinde Paten für die Gräber suchte: eine Idee von Friedhofsverwalter Alexander Tulmann. Denn bei vielen Gräbern gibt es keine Verwandten, die sich darum kümmern können. "Alle Familien wurden einfach, stellen Sie sich vor, einfach mitgenommen und umgebracht. Deshalb sind viele Generationen, die hier beerdigt sind, ohne Verwandte geblieben", erzählt er. Für Molly und ihre Mutter war sofort klar, dass die Grabpflege das richtige Ehrenamt für sie ist, auch wenn sie selbst keine Jüdinnen sind. "Also eigentlich wollte ich schon vorher immer mal ein Grab machen und hier haben wir es dann gemacht, weil wir es hier auch durften und hier um Hilfe gebeten wurden", erzählt Molly.
Weil ihre Schule neben dem Friedhof war, sind die beiden Bremerinnen häufig dort gewesen. "Molly hat auf die verwaisten Gräber Steine und Nüsse gelegt und ich hab gesagt, wir können nicht einfach auf dem Friedhof ein Grab schön machen und so tun, als wären wir die Verwandten", erzählt Elin Schirmer. Nachdem sie am Eingang ein Teelicht gekauft haben, gehen die beiden den schmalen Kiesweg zum Grab. "Du nimmst die Harke Molly, und dann suchen wir noch eine Gießkanne", sagt Elin Schirmer zu ihrer Tochter. Vor einem der grauen Grabsteine bleiben die beiden stehen. "Da steht Berta, ist aber sehr schwer zu lesen, deshalb habe ich schonmal versucht, das nachzuritzen, aber so richtig deutlich ist das immer noch nicht zu sehen", sagt Molly Baumann und kniet sich ins Gras, das um das kleine Beet herum wächst. Sie harkt mit einer kleinen Harke das Unkraut aus dem Beet.
Es geht vor allem darum, dass wirklich jemand zu Besuch kommt. Also es ist wirklich diese Geste. Wir besuchen dich, wir lassen einen Stein da. Wir haben dich nicht vergessen.
Elin Schirmer über die Grabpflege
Der achtjährigen Molly tun die Gräber leid, um die sich niemand kümmert: "Weil die Gräber ja auch nichts dafür können, dass die anderen älter werden. Und dann finde ich auch, dass die auch verdient haben, ein schönes Grab zu kriegen." Ihre Mutter schiebt ein Teelicht in eine kleine Laterne und die beiden legen einen Stein auf den Grabstein. Immer wenn sie zum Grab gehen, bringen sie einen kleinen Stein mit. Es ist eine jüdische Tradition, einen Stein beim Besuch auf den Grabstein zu legen, als Symbol etwa für die Verbindung zwischen den Generationen. "Es geht vor allem darum, dass wirklich jemand zu Besuch kommt. Also es ist wirklich diese Geste. Wir besuchen dich, wir lassen einen Stein da. Wir haben dich nicht vergessen."
Dass der Zufall die Bremerin gerade auf einen jüdischen Friedhof geführt hat, nimmt sie zum Anlass, mit ihrer Tochter über Ausgrenzung, Antisemitismus und Rassismus zu sprechen. "Molly weiß schon viel über den Nationalsozialismus und vielleicht mehr als manche in dem Alter", erzählt die Bremerin. Ihr ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen und wie wichtig es ist, dass jeder andere Rituale hat und dass jeder aber so frei ist, dass jeder es machen kann, wie er eben gerne möchte und dass er deswegen nicht diskriminiert werden darf."
Dieses Thema im Programm: 23. September 2023, 13:40 Uhr