Im Porträt Was denkt Philosoph Markus Gabriel über die Krisen unserer Zeit?
Standdatum: 17. Oktober 2023.
Der "Starphilosoph" und Autor Markus Gabriel zählt zu den gefragtesten Denkern unserer Zeit. Sein Buch "Warum es die Welt nicht gibt" schaffte es auf die Spiegel-Bestseller Liste. Schon als Kind hat er philosophische Fragen gestellt, sein "Neuer Realismus" gibt Antworten auf die zentralen Fragen unserer Zeit.
"Kinder stellen ja immer philosophische Fragen", sagt Philosophieprofessor Markus Gabriel. Er ist Vater von zwei Töchtern und fragte schon zur Grundschulzeit, was die verschiedenen Sequenzen unseres Lebens wohl zusammenhält? Die Antwort darauf hat er längst gefunden, doch was ist die Zeit jenseits der Physik? An diesem Problem arbeitet der heute 43-Jährige weiterhin.
Mein philosophisches Denken lebt davon, dass ich mit möglichst viel Pluralität und vielen Perspektiven konfrontiert werde.
Vor der Pandemie war Markus Gabriel ständig unterwegs.
Markus Gabriel denkt viel und er denkt schnell. Mit nur 29 Jahren wurde er 2009 der jüngste Philosophieprofessor Deutschlands. Dass er vor 30 einen Lehrstuhl haben würde, davon war er schon als Teenager überzeugt. "Diesen Beschluss hatte ich so mit 15 oder 16 gefasst und hab´ das auch jedem gesagt", gibt er zu und lacht dabei. Mit 27 hatte er es geschafft. Nach dem Studium in Heidelberg, nach Aufenthalten in Helsinki, Lissabon, Neapel, Palermo, Tokio und Berkley, lehrte Markus Gabriel in New York, bis ihn die Universität Bonn zum Professor für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit berief. "Da war ich an der Grenze eines Burn-outs, weil ich ja mit Hochgeschwindigkeit auf dieses Ziel hingearbeitet habe", erinnert er sich. Nun musste er erstmals anhalten und sich neu orientieren. Den zweiten Stillstand erlebte er während der Pandemie: "Mein philosophisches Denken lebt davon, dass ich mit möglichst viel Pluralität und vielen Perspektiven konfrontiert werde". Zwar ist Bonn dadurch eine echte Heimat geworden, dennoch sind Reisen und der persönliche Austausch für den Philosophen unverzichtbar.
Philosoph von Kindesbeinen an
Seine Analysen sind überall auf der Welt gefragt, denn Markus Gabriel philosophiert mithilfe der Mathematik, Geschichte, Religion oder der Wirtschaftswissenschaften. "In den letzten Jahren hat das massiv zugenommen. Ich habe sehr viele Termine mit Staatsoberhäuptern, um Gespräche darüber zu führen, wie in unserer Krisenzeit die Philosophie auch wieder ein Leitstern werden kann", berichtet er und schätzt die Anerkennung, die er dafür bekommt. Zuletzt ist er einer Einladung Südkoreas nach Paris gefolgt. Dort ging es um die Frage, wie wir universale Werte finden können und wie sich diese in unseren Digitalstrategien spiegeln lassen. Aktuell beschäftigt er sich mit der Quantenfeldtheorie, denn er hat sich zum Ziel gesetzt, eine Naturphilosophie zu entwickeln. Starallüren hat der Professor nicht, denn Markus Gabriel ist davon überzeugt, dass Denkende, die in der Lage sind, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren, um idealerweise die Welt zu verbessern, es im Interesse aller auch tun sollten.
Und als ich das Wort 'Philosophie' gelesen habe, sagte ich mir selbst: Ach, das ist es, was du machen möchtest und hatte seitdem das Gefühl, dass das etwas Seriöses ist, von dem man vielleicht sogar leben kann.
Markus Gabriel über ein Tafelbild mit Platons Ideenlehre.
Dass der gebürtige Remagener mal von der Philosophie würde leben können, das konnten sich seine Eltern überhaupt nicht vorstellen. Auch was ein Studium bedeutet, war ihnen völlig fremd. Als Krankenschwester und Gärtner wollten und konnten sie ihren Sohn nicht unterstützen, doch zum Glück wurde Markus philosophische Neigung bereits in der Schule erkannt und seitdem gefördert: "Und als ich das Wort 'Philosophie' gelesen habe, sagte ich mir selbst: Ach, das ist es, was du machen möchtest und hatte seitdem das Gefühl, dass das etwas Seriöses ist, von dem man vielleicht sogar leben kann", erinnert er sich.
Ich philosophiere genauso wie ich Schach spielen würde.
Markus Gabriel spielt lieber Weiß, weil es den Stil der Partie bestimmt.
Markus Gabriel ist ehrgeizig. Gedanklich ist er immer auf dem Weg zum nächsthöheren Ziel. "Ich philosophiere genauso wie ich Schach spielen würde. Ich betrachte die Philosophie und alles menschliche Wissen wie ein Schachspiel mit unendlich vielen Feldern und unendlich vielen Spielfiguren." Und genau wie auf dem Schachbrett, strukturiert Markus Gabriel unsere Wirklichkeit. Zwar teilt er die Sorgen um unser Klima, die Angst vor Krieg oder die Folgen der Inflation. Doch "als Philosoph versuche ich die Zukunft zu antizipieren mit optimistischen, aber auch pessimistischen Szenarien, um mir ein Bild davon zu machen, wie die Sachlage insgesamt ist." Das beruhigt ihn, denn es gibt niemanden, der diese Probleme alleine lösen kann. Das heißt, dass es keine Schaltzentrale gibt. "Eine Verschwörung ist prinzipiell nicht möglich", lautet sein Fazit.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Gesprächszeit, 18. Oktober 2023, 18:05 Uhr