Die Morgenandacht Wer gilt als schmutzig

"Kein Platz für Gewalt". So heißt eine aktuelle Veranstaltungsreihe der Bremischen Evangelischen Kirche. Sie setzt sich mit den Themen "Gewalt" und "sexualisierte Gewalt" auseinander. Die Morgenandachten dieser Woche sind Teil dieser Reihe.

Ich sage: Wir können doch auch eine Station mit Wasser anbieten. Mit Wasser zum Reinigen. Neu beginnen. Wo man all die Angst und den Schmerz abwaschen kann.
Diese Idee habe ich, als wir einen Gottesdienst vorbereiten. Einen Gottesdienst für Menschen, die betroffen sind von Gewalt. Von sexualisierter Gewalt.
Ich mag meine Idee mit dem Wasser. Und ich denke mir nichts.
Wasser ist doch immer ein schönes Symbol. Mit Wasser kann man doch eigentlich nichts falsch machen. Johannes der Täufer taucht Menschen im Wasser unter. Der Hirte führt die Schafe zum frischen Wasser. Und Jesus spricht vom Wasser des Lebens, das alle erquickt.

Er sitzt mir gegenüber und schüttelt langsam den Kopf. Sieht mich vorsichtig an. Sagt:
Muss ein Mensch, der eine Vergewaltigung erlebt hat, sich reinigen?
Muss das Mädchen, dem man im Club zwischen die Beine gegriffen hat, sich reinigen?
Muss das Kind, der gemobbt wird, sich reinigen?
Wer muss sich reinigen? Wer gilt als schmutzig?
Und es fällt mir wie Schuppen von den Augen.
Die Betroffenen tragen den Schmerz und den Makel davon.
Werden gefragt, was sie denn anhatten zur Tatzeit.
Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten das Nest beschmutzt, als sie ihr Schweigen brachen.
Sie ernten das Schweigen der Gesellschaft.
Sie gelten als schmutzig und man bietet ihnen Reinigung an.
Und ich schlage in dieselbe Kerbe.

Wer gilt als schmutzig?
Das fragt er mich. Und ich verstehe langsam: Wasser ist für mich ein schönes Symbol, und gleichzeitig spreche ich damit eine fiese Sprache. Sende eine Botschaft, die die Schuld verschiebt.
Biete ich Reinigung an, dann unterstelle ich Schmutz.
Biete ich Reinigung an, dann schreibe ich den Makel fest.
Biete ich Reinigung an, dann vertausche ich Betroffene und Täter.
Wer gilt als schmutzig?

Diese Frage geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Gut so.