Die Morgenandacht Auch ein Neonazi hat Zahnschmerzen
Stand: 25. März 2025.
Die Morgenandacht Auch ein Neonazi hat Zahnschmerzen
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"Liebe deinen Nächsten, er ist wie du." Dieser zentrale Satz aus der Bibel hat für Pastoralreferent Klaus Hagedorn weitreichende Folgen im Leben.
Im dritten Buch der Bibel, im Buch Levitikus, steht ein zentraler Satz: "Liebe deinen Nächsten – wie dich selbst". Wir kennen diesen Satz auch aus anderen Bibelstellen, haben ihn so oder so schon mal gehört. Er ist eingeflossen in unsere abendländische Tradition. Martin Buber und Franz Rosenzweig, zwei wichtige Bibel-Übersetzer, übersetzen wohl treffender: "Liebe deinen Nächsten, er ist wie du." Damit wird deutlicher: Es geht nicht darum, dass wir die Liebe zu uns selbst zum Maßstab der Nächstenliebe machen. Die Israeliten sollten daran erinnert werden, dass der Nächste – egal ob Freund oder Feind – mit ihnen wesensgleich ist. Der Grund der Liebe und der Grund für die Achtung jedes anderen Menschen ist demnach nichts anderes als die Gleichheit aller Menschen.
Biblisch betrachtet, darf man also einen Menschen, einen Feind, nicht einfach töten oder vernichten. Denn: "Er ist wie du" – oder: "Das bist du selbst!" Wer einen Menschen töten will, müsste also zunächst beweisen, dass er nicht wie man selber ist. Als die Nazis Juden, Behinderte und Homosexuelle, Sinti und Roma vernichteten, haben sie das nicht einfach nur getan. Sie haben sich und andere darauf vorbereitet, indem sie diese Menschengruppen abgewertet haben, mit Bezeichnungen, mit denen sie aussagten: "Sie sind nicht wie wir!" Sie haben die Juden als "Parasiten und Schmeißfliegen" beschimpft, die Kranken "Minusvarianten" genannt und Lesben und Schwule "Schädlinge am Volkskörper".
Es gibt eine Grundeinsicht der Bibel, eine Grundüberzeugung vom ersten bis zum letzten Kapitel – und die heißt: Der Mensch, der neben dir lebt, ist wie du. Wenn man ihn mit dem Messer sticht, blutet er wie du. Sein Blut ist rot wie deines. Er weint Tränen wie du, wenn er Schmerzen hat. Er kann Freude und Glück empfinden – wie du selber. Er muss sterben – genau wie du. Darum behandle ihn, wie du selber behandelt werden willst; denn er ist dir gleich. Die Goldene Regel der Bibel!
Der Dichter Erich Fried wurde einmal gefragt, wie er einen Neonazi beschreiben würde. Er, der Jude, antwortete: "Ein Neonazi ist ein Mensch, der unter Zahnschmerzen leiden kann wie ich selber; der Liebeskummer haben kann wie ich selber und der weinen kann wie ich selber." Gewiss hat Erich Fried noch mehr gesagt, aber zunächst hat er die Gleichheit eines solchen Menschen mit sich selber festgestellt. Diese Erkenntnis hemmt das Töten. Darum erinnert die Bibel vielfältig daran: Dein Nächster ist wie du. Darum liebe ihn, darum erkenne ihm die Lebensrechte nicht ab, darum achte seine Andersheit. Versuche nicht, seine Eigenheit an deiner zu messen. Lass seine Fremdheit unberührt. Behandle ihn, wie du selber behandelt werden willst.