Die Morgenandacht Blind sein und sehen

Andrea Schneider
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Die Morgenandacht Blind sein und sehen

Am "Internationalen Tag des Weißen Stocks" erzählt Pastorin Andrea Schneider von einer blinden Pastorin, die ungewöhnlich mobil ist.

Bild: Bremische Evangelische Kirche

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Am "Internationalen Tag des Weißen Stocks" erzählt Pastorin Andrea Schneider von einer blinden Pastorin, die ungewöhnlich mobil ist.

Heute ist der "Internationale Tag des Weißen Stocks". Er macht aufmerksam auf die Situation blinder und schwer sehbehinderter Menschen und auf die Bedeutung des Blindenstocks als Hilfsmittel zur eigenständigen Orientierung, zur Teilhabe am öffentlichen Leben und als Erkennungszeichen im Straßenverkehr.
Ich denke heute an die blinde Christina. Und darf hier ein wenig von ihr erzählen:
Als Kleinkind bekommt Christina einen aggressiven Tumor in den Augen. Mit Vier ist sie völlig blind. Ihre Eltern kämpfen – für sie und mit ihr: im Kinderkrankenhaus um ihr Leben, bei Behörden um einen Platz in Gruppen mit Sehenden.
Das lohnt sich: Sie besucht einen kirchlichen Kindergarten und die Regelschule.
Das Abitur macht sie mit 1 Komma 0, nachdem sie vorher sogar zu einem Schüler-austausch in Kanada gewesen war. Ihre Gasteltern sind überzeugte Christen und durch sie entsteht der Wunsch, Theologie zu studieren. Verrückt: ausgerechnet Theologie. Dieses komplizierte Fach, in dem es beständig darum geht, alte Texte in alten Sprachen genau anzuschauen und zu verstehen.

Eine Mobilitätstrainerin zeigt ihr die fremde Uni-Stadt und das Unigelände. Sie lernt, sich alleine zurechtzufinden. Wissenschaftliche Bücher scannt sie Seite für Seite ein, um sie dann auf ihrem Computer in Blindenschrift lesen zu können. Sie schreibt sogar ihre Doktorarbeit – zur Frage, was das beständige Sich-Zeigen und Gesehen-Werden bei Facebook & Co. mit dem Menschen selbst macht und dem Bild
vom Menschen überhaupt.

Sehen und gesehen werden. Bei ihr leider oft auch: übersehen werden.
Trotz Blinden-stock. "Es nervt mich", sagt sie, "wenn Leute über mich hinwegreden, als würden sie mich nicht sehen. Dabei bin ich es doch, die blind ist." Christina hat eine klare Perspektive für sich: Gemeindepastorin werden. Und sie wird es. Zum Beispiel eine Zeit lang in Twistringen. Nach anfänglicher Skepsis einiger Leute, ob eine Blinde das denn hinkriegen kann: eine sehr beliebte Pastorin. Eine, die sieht, was Menschen brauchen. Manchmal, zum Beispiel beim Gewusel im Familiengottesdienst oder vor den Konfis, steht ihr eine Assistentin zur Seite. Und ganz wichtig: ihr Blindenstock. Flexibel und sensibel "sieht" er für sie Unebenheiten. Hilft ihr, sich zielsicher zu bewegen.

Und wenn ihr die Kraft mal ausgeht? "Dann kriege ich die zurück", sagt sie, "von meiner Familie, Freunden, auch von Gott. Er mutet mir manchmal ganz schön viel zu. Aber zugleich fühle ich mich so reich von ihm beschenkt. Mit Lebensfreude, Zuversicht."
Zur Zeit kämpft sie gegen eine neue schwere Erkrankung. Ich staune über ihre positive Energie. Trotz allem. Und eins hoffe ich, ja weiß ich: Gott sieht sie.

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