Im Porträt Diese Bremerin will Frauen in sozialen Brennpunkten stärken
Standdatum: 27. Januar 2023.
Die Bremerin Mihdiye Akbulut arbeitet seit zwölf Jahren im Mütterzentrum in Osterholz-Tenever. Durch ihre Arbeit ist sie Ansprechpartnerin für die Frauen im Stadtteil geworden – und will sie stärken.
Mihdiye Akbulut gibt Alltagstraining für Frauen. Sie erklärt zum Beispiel, was ist ein gesundes Frühstück für Kinder ist oder erläutert wie man das deutsche Gesundheitssystem versteht. "Wir haben versucht, Impfungen zu erklären. Vor allem welche Impfungen für die Kinder wichtig sind", erzählt die 48-Jährige.
Sie waren so begeistert, als ich das System der Schule erklärt habe.
Mihdiye Akbulut
Viele der Frauen sind mit ihren Kindern nach Deutschland geflüchtet. Sie haben teilweise wenig Kontakte außerhalb ihrer eigenen Familie und sprechen selten Deutsch. In ihrem Alltag gibt es vieles, was sie nicht verstehen. Im Alltagstraining greift Mihdiye Akbulut diese Themen auf. "Sie waren so begeistert, als ich das System der Schule erklärt habe. (...) So kann man jetzt zum Elternabend gehen und etwas verstehen."
Frauen ihre Rechte klarmachen
Neben praktischen Alltagstipps geht es auch um die Rechte der Frauen und um Antidiskriminierung. Denn viele Frauen, so erlebt es Mihdiye Akbulut, werden immer noch nicht gleichberechtigt behandelt – in ihren Familien oder in der Arbeitswelt. Deshalb sieht sie es als ihre Aufgabe, besonders benachteiligte Frauen zu unterstützen.
Das hat mich berührt und schockiert, dass die Frau nicht mal wusste, dass sie auch ihre eigenen Entscheidungen treffen kann.
Mihdiye Akbulut über ihre Erfahrungen mit geflüchteten Frauen
Sie erklärt den Frauen, dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen dürfen. "Eine Frau war überrascht, als wir gesagt haben: 'Du kannst über dich selbst bestimmen.' Und sie sagt: 'Ja? Ich darf meinem Mann sagen: Ich entscheide?' Das hat mich berührt und ein bisschen schockiert, dass die Frau nicht mal wusste, dass sie auch ihre eigenen Entscheidungen treffen kann", erzählt Mihdiye Akbulut. Sie setzt sich dafür ein, dass auch Frauen, die in sozialen Brennpunkten leben, als starke Frauen wahrgenommen werden.
Mihdiye Akbulut ist als 9-Jährige aus der Türkei nach Deutschland gekommen. "Mein Vater war Gastarbeiter. Ich konnte kein Wort", erzählt die Bremerin. Sie hat Sozialpädagogik studiert, bekam drei Kinder und arbeitet seit zwölf Jahren im Mütterzentrum Osterholz-Tenever als pädagogische Mitarbeiterin. Der Bremer Landesfrauenrat hat sie für ihre Arbeit und ihr Engagement als eine der "Frauen des Jahres 2021" ausgezeichnet.
Das Thema häusliche Gewalt ist schwer – wo ich nicht weiß, wie ich den Frauen helfen kann.
Mihdiye Akbulut über die Herausforderungen in ihrem Job
Bei ihrer Arbeit kommt sie aber auch an ihre Grenzen: Wenn es zum Beipspiel um Themen wie häusliche Gewalt geht. In einem Fall bittet eine Frau Mihdiye Akbulut spät abends um Hilfe, weil sie häusliche Gewalt erfahren hat und einen sicher Platz für die Nacht brauchte. "Bis 22:00 Uhr war ich an dem Abend am Gange mit ihr und hab sie doch noch untergebracht. Am nächsten Morgen hat sie einen Kollaps gekriegt, da musste ich einen Krankenwagen rufen. Das sind solche Sachen, die einem das Leben und die Arbeit schwer machen."
Vertrauen fassen
Im Alltagstraining fassen die Frauen oft Vertrauen und berichtet von ihren Gefühlen und Problemen. Qamar aus Syrien ist eine der jüngsten Teilnehmerinnen. Sie ist 2013 mit elf Jahren nach Deutschland gekommen. Heute ist sie 21, verheiratet und hat zwei Kinder. "Themen, die ich nicht kannte, habe ich hier mehr kennengelernt."
Eine Selbstperspektive für sein Leben zu finden – das ist das, was ich den Frauen mit auf den Weg gebe.
Mihdiye Akbulut über das Ziel ihrer Arbeit
Wenn die Frauen das Training einige Monate besucht haben, planen Mihdiye Akbulut und ihre Kolleginnen, wie es weitergehen kann. Manche Frauen machen weitere Sprachkurse, Ein-Euro-Jobs oder eine Ausbildung. Mihdiye Akbulut hat die Erfahrung gemacht, dass für die Frauen oft schon ein kleiner Schritt zu mehr Selbstständigkeit viel wert ist: Dass sie selber auch mal zum Arzt gehen können, selbst Papierkram ausfüllen. Dass man nicht nur an den Haushalt, ans Kochen, an die Kinder, an den Mann denkt, sondern, dass man auch mal an sich denkt. "Eine Selbstperspektive für sein Leben zu finden – das ist das, was ich den Frauen mit auf den Weg gebe."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 28. Januar 2023, 13:40 Uhr