Lieblingsmensch Dieser Bremer ermöglicht Kultur unabhängig vom Geldbeutel

Autorin

Carsten Dohme
Bild: Radio Bremen/ Liselotte Scheewe

Nicht jeder und jede kann sich Tickets für Konzerte oder Ausstellungen leisten. Die Kulturtafel Bremen möchte das ändern. Für uns ist der Projektleiter Carsten Dohme deshalb ein absoluter Lieblingsmensch.

Markus Radetzki, Till Thomson und Carsten Dohme

Carsten Dohme macht Kultur für alle möglich

25 % der Menschen in Deutschland gehen laut einer aktuellen Verbrauchs- und Medienanalyse nie zu kulturellen Veranstaltungen und Museen und 37 % seltener als einmal im Monat. Die Kulturtafel Bremen möchte kulturelle Teilhabe unabhängig von Geldbeutel, Mobilität und Herkunft ermöglichen.

Bild: Radio Bremen/ Liselotte Scheewe

Die Eingangshalle des Konzerthauses Glocke füllt sich langsam. Schuhe klacken über den glatten, glänzenden Boden. Stimmen schwirren durch die Luft. Durch die schwere braune Holztür kommen zwei Besucher. Marcus Radetzki und Till Thomson sind an diesem diesigen Winterabend zu einem Konzert des portugiesischen Sängers Salvador Sobral gekommen. Aber sie sind keine normalen Konzertbesucher. Marcus Radetzki ist Kulturgast der Kulturtafel, Till Thomson sein Kulturbegleiter. Beide dürfen das Konzert kostenlos besuchen.

Till Thomson schiebt Marcus Radetzki in seinem Rollstuhl zu ihren Plätzen. "Na dann geht’s los Marcus, auf zum Fahrstuhl", sagt er. Weil ein Jackenärmel am Rad des Rollstuhls schleift, lässt er sich schwer schieben "Hast du die Bremse an?", fragt Till Thomson. "Ne, du hast zu wenig Kraft", witzelt Marcus Radetzki. Die beiden verstehen sich gut. Zusammengeführt hat sie die Kulturtafel.

Ich hab‘ schon einige Sachen durch die Kulturtafel erleben dürfen. Gut, dass es das gibt für Leute, die auch ein bisschen weniger Geld haben.

Kulturgast Marcus Radetzki
Carsten Dohme mit Markus Radetzki und Till Thomson
Marcus Radetzki, Till Thomson und Carsten Dohme. Bild: Radio Bremen/ Liselotte Scheewe

Marcus Radetzki hat vor einem Jahr von dem Angebot der erfahren und sich sofort registriert. "Ich hab‘ schon einige Sachen durch die Kulturtafel erleben dürfen. Das find ich super. Ich geh gern raus, solange ich noch kann. Ich bin ja auch schon ein bisschen älter. Meine Zeit ist jetzt, das ist mein Spruch", sagt er. Der 52-Jährige wohnt in Bremen Arbergen und versucht, häufig zu Konzerten zu gehen. "Gut, dass es das gibt für Leute, die auch ein bisschen weniger Geld haben. Ich bezahl auch mal Geld dafür aus eigener Tasche. Ich gehöre zu den Leuten, wenn ich das will, dann spar ich das Geld. Aber wenn das mal so geht, ist es auch gut", erzählt er.

Till Thomson ist schon das zweite Mal mit Marcus Radetzki unterwegs. "Ich möchte mich einfach ehrenamtlich betätigen und ich mag Kunst und Kultur und so passt das dann zusammen", sagt der 34-Jährige. Marcus Radetzki und Till Thomson verstehen sich so gut, dass sie öfter gemeinsam zu Veranstaltungen gehen möchten. An diesem Abend sitzen sie nebeneinander in der Bremer Glocke und lauschen der portugiesischen Band.

„Das reicht von Behinderung über psychische Probleme, Isolationsprobleme. Und es gibt Menschen, die es tatsächlich einfach verlernt haben, ihre Freizeit zu gestalten.“

Carsten Dohme über die Hürden für Kulturbesucher

Carsten Dohme ist Projektleiter bei der Kulturtafel. Das Projekt hat der Verein Ausspann e.V. im vergangenen Jahr initiiert. Der finanzielle Aspekt sei natürlich eine Hürde, eine Kulturveranstaltung zu besuchen, aber es gebe auch andere Hemmnisse. "Das reicht von Behinderung über psychische Probleme, Isolationsprobleme. Und es gibt Menschen, die es tatsächlich einfach verlernt haben, ihre Freizeit zu gestalten", sagt der 58-Jährige.

Deutschlandweit gibt es rund 30 Kulturtafeln in verschiedenen Städten. Das Prinzip ist ähnlich wie bei der Tafel. "Nur bei uns gibt es kein Essen, sondern bei uns gibt es kostenlose Tickets", erklärt Carsten Dohme. Veranstalter spenden also Tickets, wenn Veranstaltungen nicht ausverkauft sind. Die Kulturtafel vermittelt sie an Menschen, die wenig Einkommen haben. Es geht darum, Kultur für alle zugänglich zu machen. "Kultur ist etwas, was für uns einen ganz hohen Stellenwert hat bei der Integration von Menschen, also Integration, Teilhabe an der Gesellschaft", sagt Carsten Dohme.

Ein Viertel der Menschen nutzt Kultur nie

25 Prozent, also ein Viertel der Menschen in Deutschland gehen laut einer aktuellen Verbrauchs- und Medienanalyse nie zu kulturellen Veranstaltungen und in Museen, 37 % besuchen seltener als einmal im Monat eine Veranstaltung. Die Kulturtafel Bremen möchte diesen Zahlen entgegenwirken und kulturelle Teilhabe unabhängig von Geldbeutel, Mobilität und Herkunft ermöglichen. Seit einem Jahr gibt es die Initiative.

„Es geht einfach darum, was kann ich machen, wie komme ich unter Leute, wie kann ich mit anderen Menschen kommunizieren.“

Carsten Dohme über den sozialen Aspekt von Kulturveranstaltungen

Außerdem geht es darum, anderen Menschen zu begegnen und sich auszutauschen. Deshalb bietet die Kulturtafel die Kulturbegleitung an. Ehrenamtliche wie Till Thomson begleiten die Kulturgäste, damit niemand allein zu einer Veranstaltung gehen muss. "Das kennt man von sich selber, eh man selber mal alleine den Hintern vom Sofa hochkriegt. Da ist es immer gut, wenn einen jemand mitreißt", sagt er. Dadurch möchte die Kulturtafel Menschen zusammenbringen und sie motivieren, eine Veranstaltung zu besuchen. "Es geht einfach darum, was kann ich machen, wie komme ich unter Leute, wie kann ich mit anderen Menschen kommunizieren", sagt Carsten Dohme.

Markus Radetzki, Till Thomson und Carsten Dohme
Marcus Radetzki und Till Thomson verstehen sich super. Bild: Radio Bremen/ Liselotte Scheewe

1.300 Tickets hat die Kulturtafel seit Gründung im letzten Jahr vermittelt. Das geht von Konzerten, Ausstellungen und Lesungen über Nähworkshops, Sprachcafés und Kaffeenachmittage für Senioren. Auf diese Zahl ist der Projektleiter stolz. Carsten Dohme kommt beruflich weder aus dem Sozialen- noch aus dem Kulturbereich. Er hat Geographie studiert und hatte 30 Jahre lang eine Firma für Freizeitnavigation. Nach einem Herzinfarkt hat er sich beruflich umorientiert. "Da ich schon immer gern neue Ideen entwickelt und aufgesetzt habe, bin ich dann bei der Kulturtafel gelandet", erzählt er.

Die Menschen zu erreichen ist die Herausforderung

Die Tickets von den verschiedenen größeren und kleineren Kulturbetrieben in Bremen zu bekommen, funktioniere gut. Eine der größten Herausforderungen ist es, die Menschen zu erreichen, das Angebot auch anzunehmen. Das gelingt über Kooperationen mit anderen Initiativen und sozialen Trägern. "Das hat mal angefangen mit der Tafel, mit den Suppenengeln, dann kam der Hoppenbank e.V. dazu, die sich ja um Obdachlose, Alkoholiker oder ehemals Inhaftierte kümmern und da ist inzwischen ein super Netzwerk entstanden", sagt Carsten Dohme. Die Menschen müssen einmal bei der Kulturtafel nachweisen, dass sie über ein geringes Einkommen verfügen. Bei den Veranstaltungen selbst bekommen sie dann Freikarten oder Gästelistenplätze.

„Den Leuten einfach einmal dieses Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu erleben.“

Carsten Dohme über die Idee der Kulturtafel

In der UN-Charta wird kulturelle Teilhabe als Menschenrecht beschrieben. Die Kulturtafel möchte das möglichst vielen ermöglichen und verhindern, dass Menschen vereinsamen und sich isoliert und nicht zugehörig fühlen. "Sie haben Schilderungen von Kulturgästen, die sagen, ich war vier Jahre war ich nicht mehr aus. Und da komm ich ins Metropoltheater, gehe über den roten Teppich und dann gehe ich an die Kasse, und das ist nämlich unser Prinzip, ich muss keinen Ausweis vorzeigen, ich bin arm, sondern ich stehe auf der Gästeliste", berichtet Carsten Dohme. Sein Ziel ist es dann: "Den Leuten einfach einmal dieses Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu erleben."

Das genießen auch Marcus Radetzki und Till Thomson. "Ich bin gern in der Glocke, ich finde die Atmosphäre, kann man so gut abschalten bei", sagt Marcus Radetzki nach dem Konzert. Till Thomson hat der Gesang von Salvador Sobral und das Zusammenspiel der Musiker besonders gut gefallen. Er begleitet Marcus Radetzki wieder in die Eingangshalle und stellt sich bei den Getränken an. Sie lassen das Konzert noch gemeinsam ausklingen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 17. Februar 2024, 13:40 Uhr

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