Was macht die Kunst? "Knabe mit Pfeil" von Giorgione
Stand: 16. März 2025.
Was macht die Kunst? "Knabe mit Pfeil" von Giorgione
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In den USA schränkt die neue Regierung die Rechte von Transpersonen und Nonbinären zunehmend ein. Dabei hat es queeres Leben schon immer gegeben, und das nicht nur im Geheimen. Das belegt ein Gemälde des Venezianers Giorgione aus dem frühen 16. Jahrhundert:
Das Gemälde "Knabe mit Pfeil" zeigt einen verträumten Jüngling mit braunen, langen Locken, der sich als Gott Amor verkleidet hat. Er hält einen Liebespfeil in der rechten Hand und seine Finger weisen in Richtung seines Herzens. Der Jüngling trägt einen roten Umhang und darunter ein goldbesticktes transparentes Unterhemd. Das Gemälde ist ein Brustbild. Giorgione malte aber kein klassisches Porträt, auch wenn die rundlichen Gesichtszüge mit der schmalen Nase sehr individuell wirken. Offenbar handelt es sich um ein Sehnsuchtsbildnis, das verführen will. Giorgiones Knabe wirkt weder repräsentativ noch respekteinflößend, sondern eher sanft und träumerisch.
Das Gemälde passt in das Umfeld, in dem sich der Maler bewegte: Giorgione arbeitete für einen Zirkel junger Männer, die sich in Venedig in sogenannten Strumpfhosengesellschaften trafen, benannt nach der bunten Herrenmode jener Zeit. Dort las man gemeinsam Liebesgedichte, musizierte und sehnte sich nach mehr Poesie im Leben, denn die Ehe war ein rein ökonomisches Zweckbündnis. Die Lust hatte da kaum Platz. Sicher schwärmten einige dieser jungen Männer auch für ihr eigenes Geschlecht und Personen, die wir heute als nonbinär bezeichnen würden. Der Jüngling auf Giorgiones Bild wirkt androgyn im Auftreten, er entspricht nicht dem traditionellen Ideal eines Kriegers oder patriarchalen Kaufmanns.
In der Renaissance wertete man männliche Homosexualität offiziell als "Sodomie" ab, aber in Städten wie Florenz und Venedig waren sexuelle Kontakte von erwachsenen Männern und noch unverheirateten Jünglingen weit verbreitet. Das war verboten, galt aber auch nicht als besonders skandalös oder gar pathologisch. Manche Männer, wie beispielsweise Leonardo da Vinci, lebten dauerhaft mit Jüngeren zusammen; für viele andere war die Männerliebe nur eine Phase. Homo- und Bisexualität sowie Androgynität gab und gibt es in allen Gesellschaften. Die Frage ist nur, wie sichtbar das sein darf. In der italienischen Renaissance war es sichtbar, etwa in Kunstwerken wie diesem.
Heute tobt gerade in den USA ein Kulturkampf um die Sichtbarkeit von queeren Personen. Transpersonen werden aus dem Militär verstoßen, Institutionen müssen Begriffe wie LGBTQ und selbst "Women" streichen. Nonbinäre bekommen Probleme bei der Einreise. Im Vergleich mit anderen Zeiten erscheint das eine Verarmung der Kultur zu sein.