Was macht die Kunst? Noli me tangere von Tizian

Das Ölgemälde "Noli me tangere" von Tizian von 1514

Was macht die Kunst? Noli me tangere von Tizian

Ostern, Fest der Auferstehung, Fest des Lebens, höchster christlicher Feiertag – und ein Fest für die Kunst. Kunsthistorikerin, Sachbuchautorin und Bremen Zwei Kolumnistin Kia Vahland hat ein Gemälde aus der Renaissance in Venedig mitgebracht, von Tizian – und es ist mindestens so sinnenfreudig wie heilig.

Bild: National Gallery London

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Das Ölgemälde "Noli me tangere" von Tizian von 1514
Das Gemälde "Noli me tangere" von Tizian von 1514. Zu sehen ist es in der National Gallery in London. Bild: National Gallery London

Das Leiden Christi, die Trauer um den noch so jungen Toten, die Tränen seiner Mutter, das sind Leitmotive in der Kunst. Das Trauma des gewaltsamen Todes wird immer wieder von Neuem thematisiert und verarbeitet. Umso schöner ist es, wenn es Ostersonntag um das Leben geht, um die Auferstehung, den Neuanfang.

Das Gemälde "Noli me tangere", ein Frühwerk Tizians, entstanden um 1514 in Venedig, zeigt eine Szene im Veneto - das Wetter ist mild, im Hintergrund leuchten die Berge blau. Auf einem Hügel liegt ein Dorf. Alles wirkt unaufgeregt. Jesus ist frisch auferstanden, ihn umweht noch sein Grabtuch. Ansonsten ist er bis auf einen Lendenschurz nackt; sein wohlproportionierter Körper erscheint unverwundet. Tizian zeigt den Moment, wo Maria Magdalena Christus erkennt. Sie geht in ihrem roten Gewand in die Knie, mit offenem Haar, dann greift sie vorsichtig nach ihm. Und er sagt den berühmten Satz: "Noli me tangere", Rühr mich nicht an.

Jesus wird nicht auf Erden bleiben, er ist nicht mehr derselbe wie vor der Kreuzigung. Bei Tizian weicht er in bogenförmiger Bewegung zurück, schützt seinen Unterleib mit dem Grabtuch. Doch zugleich wendet er sich im Gespräch der Frau zu, betrachtet sie liebevoll. Nähe und Distanz müssen erst ausgehandelt werden, wie im realen Leben auch.

Die frühe Neuzeit war eine noch viel taktilere Gesellschaft als es unsere ist. Statuen oder Reliquien waren zum Anfassen da. Verträge besiegelte man mit einem Handschlag, einem Bruderkuss oder auch einer Ohrfeige, damit sich der Moment gut einprägte. Mit Gästen teilte man oft das Bettlager. Sich berühren zu lassen, war selbstverständlich, eine Form der Kommunikation. Auch bei Tizian ist Maria Magdalenas zupackende Art gar nicht unschicklich. Doch aus der körperlichen Nähe muss nun eine geistige Nähe werden. Nur so kann die Geschichte weitergehen. Das ist der Neuanfang, den die Auferstehung bedeutet.

Autor/Autorin

  • Kia Vahland

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