Was macht die Kunst? Flagellanten-Prozession von Francisco de Goya
Standdatum: 8. Dezember 2024.
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Bräuche können eine Gemeinschaft zusammenhalten, sie können aber auch in Gewalt gegen Schwächere enden, wie das Klaasohmfest auf Borkum. Francisco de Goya kritisierte mit seinem Gemälde "Flagellanten-Prozession" einen anderen Brauch.
In seinem Gemälde führt Goya eine Prozession in der Karwoche vor Augen, bei der sich Teilnehmer auspeitschen. Hell erleuchtet und blutverschmiert marschieren sie auf. Sie haben weiße Masken und manche auch Spitzhüte. Dazu werden Trompeten geblasen, andere Männer tragen eine merkwürdig gesichtslose Madonnenfigur. Dicht drängen sich Schaulustige um die Prozession, man sieht mehr Masse als einzelne Menschen. Im Hintergrund erhebt sich eine fensterlose Kirche wie eine dunkle, ungute Macht.
Goya Gemälde geht hart mit dem gewaltsamen religiösen Brauch ins Gericht. Er sagte einmal, seine Motive wähle er aus der Fülle der "Extravaganzen und Fehltritte", die jeder menschlichen Gemeinschaft zu eigen seien. Die Flagellanten fügten sich im Namen des Glaubens Schmerz zu, sie taten dies auch stellvertretend für andere Sünder. Es blieb bei diesen Prozessionen nicht beim Masochismus. Etliche Flagellanten übten in der aufgeheizten Stimmung unter Schutz ihrer Masken Gewalt gegen andere aus, vor allem gegen Frauen.
Nur wenige Jahre nach Goyas Gemälde, 1830, gründete sich auf Borkum der Verein Borkumer Jungens, der bis heute am Vorabend von Nikolaus das Klaasohmfest ausrichtet. Junge Männer werden ausgewählt, sich zu verkleiden mit Schaffellen, Möwenflügeln und schweren Masken. Bisher endete der Umzug in Gewalt gegen junge Frauen, die mit Kuhhörnern geschlagen wurden. Erst in diesem Jahr schlugen die Klaasohms nicht mehr zu, nachdem der NDR berichtet hatte und die Unsitte daraufhin überregional kritisiert worden war.
Öffentliche Enthemmung gehört zur europäischen Kulturgeschichte. Die aktuelle Empörung hat auch mit einer Befürchtung zu tun, die schon Goya hegte: dass sich ein alter kollektiver Furor aller Aufklärung zum Trotz jederzeit wieder Bahn brechen kann. Auf der Nordseeinsel hat man sich davon nun abgegrenzt und will es fortan mit den Unesco-Empfehlungen halten: Ein Brauch soll verbinden, nicht schaden.