Was macht die Kunst? Die Freiheit führt das Volk von Eugène Delacroix

Das Foto von Donald Trump kurz nach dem Attentat könnte die Wahl entscheiden. Kann ein einzelnes Bild wirklich so mächtig sein? Die Bremen Zwei-Kolumnistin und Kunsthistorikerin Kia Vahland erinnert an ein Gemälde, das Geschichte geschrieben hat, es stammt von Eugène Delacroix: "Die Freiheit führt das Volk".

Zentral auf dem Foto des Journalisten Evan Vucci ist Trumps erhobener Arm, seine geballte Faust. Sie symbolisiert ein Aufbegehren und steht für Befreiungsbewegungen Marginalisierter und Diskriminierter. Der Immobilienspekulant Trump gibt sich als Outsider und Underdog, der es den Eliten mal so richtig zeigt. Sein Arm ist auf Höhe der Fahne, was aussieht, als sei er und nur er der rechtmäßige Bannerträger Amerikas. Und: Die Farben der Fahne dominieren das gesamte Bild. Die Anzüge der Personen greifen das Blau auf, die Hemden das Weiß und Trumps Blut das Rot.

Historisch gesehen wurzelt diese Geste im Zeitalter der Revolutionen. Das zeigt ein Hauptwerk von Eugène Delacroix von 1830: "Die Freiheit führt das Volk". Das Gemälde gehört zu den Hauptattraktionen des Louvre. Zu sehen ist die Bürgerrevolution von 1830, die den Bourbonenkönig Karl X. wegfegte und die Revolution von 1789 quasi vollendete. Auf dem Boden liegen Leichen von Soldaten und Aufständigen. Pulverdampf steigt den Abendhimmel hinauf. Eine Gruppe sehr unterschiedlicher Rebellen stürmt nach vorne, darunter ein wohlhabender Zylinderträger und ein Knabe aus dem Volk, beide bewaffnet. Im Zentrum aber steht eine halbreale, halbfiktive Gestalt: die Marianne, eine übergroße, barbusige Verkörperung der Freiheit. Zum Symbol des gesamten bürgerlichen Zeitalters wurde ihr kräftiger gereckter rechter Arm. Mit ihm schwenkt sie die von den Bourbonen verhasste Trikolore. Auch auf diesem Gemälde sind Rot, Weiß, Blau die zentralen Farben. Der gereckte Arm steht seit Delacroix für den gerechten Aufruhr, für den Kampf für eine bessere Zukunft.